Wilhelmsburg. Der Satz, der da groß und deutlich an der Hauswand steht, ist wunderbar kurz und eindeutig in seiner Aussage: „Sozialer Wohnungsbau heißt: ohne Gewinnabsicht bauen.“ Nun könnte man auf die Idee kommen, jemand hätte ihn gerade in Ottensen, dem Schanzenviertel oder St. Georg an eine Wand gesprüht, um gegen zu hohe Mieten, Gentrifizierung und Wohnungsnot zu protestieren. Weit gefehlt: Der Satz steht an einer Hauswand an der Fährstraße in Wilhelmsburg, und das seit mehr als 60 Jahren, angebracht mit Metall-Lettern in etwa zehn Metern Höhe, und auch der Urheber des Zitats ist genannt: Erich Klabunde (1907–1950).
Der Berliner, der mit 19 Jahren nach Hamburg kam, war Bankkaufmann, studierte dann diverse Fächer (ohne Abschluss), wurde Journalist, schließlich Politiker und gilt als einer der Väter des sozialen Wohnungsbaus. „Was er in nur fünf Jahren nach dem Kriegsende 1945 leistete, das darf man wirklich als atemberaubend bezeichnen“, sagt Holger Martens. Der Hamburger Historiker ist Klabunde-Experte und Autor einer Kurzbiografie über den heute weitgehend vergessenen Sozialdemokraten.
Klabunde trat 1926 der SPD bei
Gerade in Hamburg angekommen, trat Klabunde 1926 der SPD bei. Neben seinem eher planlosen Studium volontierte er 1927 beim „Hamburger Anzeiger“, der damals zur auflagenstärksten Zeitung der Stadt geworden war. „Er bezeichnete den Journalismus als seine große Leidenschaft, die er aber nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 aufgeben musste“, erzählt Martens. Nach einem einjährigen Beschäftigungsverbot schlug er sich als Wirtschaftsprüfer durch und wurde Geschäftsführer des Verbands Deutscher Nähmaschinenhändler. Seit 1939 arbeitete er für mehrere Wohnungsbauverbände, bevor er in die „Organisation Todt“ eingezogen wurde – eine berüchtigte Gruppe, die für Bauarbeiten in den von Deutschland besetzten Ländern zuständig war. Sie war auch für den Bau des Atlantikwalls (mit dem eine alliierte Invasion verhindert werden sollte) und von U-Boot-Bunkern verantwortlich, erstellte V2-Abschussrampen, verlegte Industriebetriebe unter Tage, baute aber auch Luftschutzkeller für die Zivilbevölkerung. Dabei wurden massenweise Zwangsarbeiter eingesetzt, von denen Zigtausende zu Tode kamen.
„Welche Rolle Klabunde dabei spielte, lässt sich leider nicht klären. Ich habe keine Akten, Hinweise oder Zeugenaussagen finden können“, erläutert Martens. Er kann sich aufgrund Klabundes Biografie und seiner schnellen Nachkriegskarriere unter britischer Besatzung nicht vorstellen, dass Klabunde an Nazi-Verbrechen beteiligt war. Martens: „Aber letztlich bleibt das alles Spekulation, solange keine Fakten vorliegen.“
Klabunde baute den Deutschen Journalistenverband auf
Nach Kriegsende 1945 jedenfalls leistete der gerade 38-Jährige in seinen fünf verbleibenden Lebensjahren Erstaunliches, denn er baute an entscheidender Stelle sowohl die Wohnungswirtschaft als auch die SPD und den Deutschen Journalistenverband (DJV) auf.
Klabunde begann schon 1945 mit der Organisation eines Berufsverbands der Hamburger Journalisten, schuf dann eine norddeutsche Organisation und wurde 1949 in Berlin erster Bundesvorsitzender des DJV, der noch heute die wichtigste Berufsvertretung ist. „Parallel gründete er den Verband Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, erst im Norden, dann für alle westlichen Besatzungszonen“, erläutert Martens. Auch hier war er als Geschäftsführer an führender Stelle tätig. In der Politik schließlich war er seit 1946 sowohl Mitglied der ersten Hamburgischen Bürgerschaft nach dem Krieg als auch Mitglied des ersten Deutschen Bundestages, in den er 1949 über die Landesliste der Hamburger SPD gewählt wurde.
40 Prozent der Wohnungen nach dem Krieg beschädigt
„Dort blieb ihm zwar nur noch ein Jahr, doch das nutzte er, um ,seinen großen Coup‘ zu landen. Denn kein Thema beschäftigte ihn so wie die dramatische Wohnungsnot in Deutschland“, sagt Holger Martens. Durch den Krieg waren gut 40 Prozent aller westdeutschen Wohnungen zerstört oder schwer beschädigt – verschärft wurde die Situation durch Millionen Flüchtlinge. Für Klabunde war klar, dass nur Baugenossenschaften und ein staatlich stark gefördertes Wohnungsbauprogramm Abhilfe schaffen könnten. „Dabei lehnte er privatwirtschaftliches Bauen keineswegs ab – er sah nur deutlich, dass mangels Eigenkapitals die Leistungsfähigkeit gering war. Außerdem wollte er nicht nur Wohnungen, sondern bezahlbare Wohnungen schaffen“, sagt Martens.
Schon vor dem Krieg hatte er entsprechende Überlegungen angestellt. Jetzt, nach der Gründung der Bundesrepublik, der Einführung der D-Mark und dem Start des Marshallplans (mit Geld und Sachleistungen wollten die USA die westeuropäische Wirtschaft wieder ankurbeln), sah er die Stunde für seine Ideen gekommen. Und die stießen im Bundestagsausschuss für Wohnungswesen auf offene Ohren.
Das „Erste Wohnungsbaugesetz von 1950“ trug seine Handschrift – obwohl er Oppositionspolitiker war, denn die SPD war an der Regierung des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer (1876–1967) nicht beteiligt. Martens: „Er muss sehr überzeugend argumentiert haben, denn die Mehrheit hielt ursprünglich nicht viel von seinen Ideen.“ Und so war es der Höhepunkt seines beruflichen Lebens, als das Gesetz verabschiedet wurde. Erstaunlicherweise fast einstimmig.
Kalbunde erlitt 1950 einen Hirnschlag
Das Gesetz sah zinslose staatliche Kredite vor, vergünstigtes Bauland und Steuerermäßigungen. Im Gegenzug wurde die Miete begrenzt, sie sollte nur die Kapitalkosten erbringen und die Instandhaltung ermöglichen. Es wurde tatsächlich „ohne Gewinnabsicht“ gebaut.
Den Erfolg des Gesetzes erlebte Klabunde nicht mehr. Bei einer Sitzung des Rundfunkrats des NWDR (auch dem gehörte er an) erlitt er am 18. November 1950 einen Hirnschlag – „infolge Überarbeitung in jungen Jahren“, wie „Die Zeit“ bemerkte. „In der Tat hatten ihm Ärzte dringend geraten, kürzerzutreten. Doch er war, was man heute einen Workaholic nennen würde“, so Martens.
Sein Vermächtnis sind die mehr als fünf Millionen Wohnungen, die bis 1960 gebaut wurden. Auch die an der Fährstraße in Wilhelmsburg, wo sein altes Zitat so modern daherkommt. Gebaut hat es die Süderelbe-Baugenossenschaft 1952 – und verewigte so den Vater des sozialen Wohnungsbaus.
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