Zu Besuch im Duckdalben im Hamburger Hafen. Wo Seeleute aus der ganzen Welt singen, feiern, spielen und Geld an ihre Familien versenden.

Hamburg. Es sind nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Die Menschen bummeln durch die Kaufhäuser in der Hamburger Innenstadt, um letzte Geschenke für die Familie und Freunde zu besorgen. Gedränge an den Glühweinständen. Vorfreude aufs Fest. Wenige Kilometer entfernt ist davon nichts zu spüren. Im Hafen läuft das Geschäft wie üblich. Transportschiffe werden be- und entladen. Bunkerschiffe bringen neuen Brennstoff. Und im Seemannsclub Duckdalben gleich neben den großen Terminals in Waltershof warten die Seeleute auf ihre nächste Passage. Auch hier gibt es Kerzen, Glühwein und Adventsgestecke. Doch von weihnachtlicher Vorfreude keine Spur. Denn eines haben die Menschen, die hier zusammenkommen, gemeinsam. Sie werden die Feiertage auf hoher See verbringen.

Dazu gehört July Sawal, 40. Er ist Maschinist auf dem unter maltesischer Flagge fahrenden Bulkschiff „Panorea“, das am Tag zuvor in Hamburg eingelaufen ist. „Weihnachten bin ich irgendwo zwischen Asien und Europa“ sagt er. Wo genau, kann er noch nicht sagen. Da die Ladung für den nächsten Turn, nämlich Trockenfutter, aufgrund der Witterung noch nicht aufgenommen werden kann, steht der Zeitpunkt der Abreise noch nicht fest. Mit einem VW-Transporter wurde Sawal mit seinen Kameraden vom Schiffsliegeplatz im Reiherstieg zum Duckdalben gebracht. Später bringt der Bus sie auch wieder zurück.

Insgesamt vier solcher Transporter hat der Duckdalben im Einsatz. „Manchmal sind die Fahrzeuge dauerhaft unterwegs, weil die Nachfrage so groß ist“, sagt Anke Wibel, Diakonin der Seemannsmission und Leiterin des Duckdalben. Täglich besuchen im Schnitt 100 Seeleute die Einrichtung. Manchmal sind es aber auch doppelt so viele. Sawal und seine Kollegen warten darauf, dass der Billardtisch frei wird. Seeleute spielen gerne Billard. Wenn die Kugeln still liegen, kommt in den Männern ein wohliges Gefühl auf, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

Mit dem Gefühl ist das so ein Problem. Besonders zu Weihnachten, meint Sawal. Er stammt aus der philippinischen Hauptstadt Manila. Dort hat er Frau und drei Kinder im Alter zwischen elf und 20 Jahren. Da er schon seit langer Zeit zur See fahre, handele es sich nicht um die ersten Feiertage, die er nicht bei seiner Familie sein kann, sagt der gläubige Katholik. „Aber im Inneren tut es dann doch jedes Mal weh, dass sie so weit weg sind.“ Das heißt nicht, dass es an Bord kein Fest gebe: „Die ganze Mannschaft wird zusammen feiern. Und da wir Menschen von den Philippinen gerne singen, werden auch Weihnachtslieder angestimmt“, sagt Sawal. Nur Kerzen gebe es nicht an Bord. „Das ist zu gefährlich.“ Aber es ist dann doch nicht dasselbe. „Nächstes Jahr“, sagt der kräftige Mann mit den schwarzen Haaren, die sich über die Stirn kringeln. Dann noch einmal mit Nachdruck: „Nächstes Jahr werde ich Weihnachten aber zu Hause verbringen.“ Bis dahin werde sein Kontrakt mit der Reederei aufgelöst sein.

An der Theke lehnt Vladimir Zhigalko, 48, und fragt nach einem Bus zu seinem Schiff. Die „Bianca Rambow“ ist ein kleines Containerschiff, das noch in der Nacht Richtung Kattegat auslaufen wird. An der Diskussion über Weihnachten will sich der Russe nicht so recht beteiligen, und das liegt weniger daran, dass der russisch-orthodoxe Glaube sein Hochfest erst im Januar hat. „Ich bin nicht traurig, wenn ich Weihnachten nicht zu Hause bin.“ Warum nicht? „Ich bin geschieden“, sagt Zhigalko und grinst. Und mit dem Singen habe er es auch nicht so. „Ich bin nicht besonders gläubig.“ Dennoch will der zweite Maschinist, der seit 22 Jahren zur See fährt, zu Weihnachten Geld an seine ehemalige Frau für seinen Sohn schicken. Der ist zwar schon 20 Jahre alt und lebt sein eigenes Leben, aber etwas Weihnachtsgeld muss sein, sagt Zhigalko. „Es ist leichter, Geld von Hamburg aus zu schicken als ein Geschenk“, sagt er.

Das kann er bequem vom mit Lichterketten und Adventsgestecken geschmückten Club aus erledigen. „Im Duckdalben wird den Seeleuten geholfen, schnell, einfach und sicher Geld in die Heimat zu überweisen“, sagt der andere Clubleiter Jan Oltmanns. Viele Seeleute würden mit ihrem Verdienst Großfamilien daheim ernähren. Gerade zu Weihnachten sei besonders viel los. „Ich habe heute kaum etwas anderes gemacht, als Geld zu überweisen.“ Vor allem auf die Philippinen. 16 Stunden dauere es, bis das Geld ankommt. „Mit Western Union geht es sogar innerhalb von Minuten, wenn Not am Mann ist, aber das ist teurer“, so Oltmanns.

Zhigalko ist öfter im Seemannsclub, da der Heimathafen seines Schiffs Hamburg ist. Die Reederei Rambow hat ihren Sitz im Kehdinger Land an der Elbe Richtung Cuxhaven. Hier in der Zellmannstraße 16 trifft er nicht nur auf Kollegen an der Bar, sondern kann in einem Shop alles Mögliche für den alltäglichen Bedarf kaufen, Zahnpasta, Souvenirs, Süßigkeiten, Snacks. Und ganz wichtig ist die persönliche Ansprache. „Wir sind auch Kummerkasten und helfen den Seeleuten bei persönlichen Problemen“, sagt Wibel. Seit 26 Jahren führt die deutsche Seemannsmission den Club Duckdalben. Alle Hafenstädte der Welt sind verpflichtet, Erholungsmöglichkeiten für Seeleute zu schaffen. „Hamburg hat hier vorbildlich gehandelt und den Seemannsclub eingerichtet, lange bevor dieses zur Pflicht wurde“, sagt Oltmanns. Träger sind die Nordkirche und die Hamburg Port Authority. Die Arbeit sei aber nur mit zusätzlichen Spenden und vielen ehrenamtlichen Helfern zu schaffen. Dazu gehöre auch eine Mitarbeiterin, welche die Seeleute an Bord der Schiffe betreut. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, jedes Schiff zu besuchen“, sagt Oltmanns. Dass die Seemannsmission nicht an Bord gelassen würde, komme nicht vor.

Draußen im Flur hocken Wilben Hernandez, 32, und Revec Bengo, 30. Auch sie stammen von den Philippinen und skypen über Tablet-Computer und das hauseigene Wireless-LAN-System mit ihren Familien. Als Hernandez fertig ist, schaut er sich um, und bewundert den Adventskranz an der Decke. „Ich kenne so etwas, weiß aber nicht, wie es heißt.“ Hernandez kommt von der Insel Mindoro und ist ein Experte für Weihnachtsschmuck. „Wir lieben Weihnachten auf den Philippinen, und deshalb haben wir auch ganz viel Weihnachtsschmuck.“ Hernandez arbeitet auf dem Kreuzfahrtschiff „AIDAsol“ und ist „persönlicher Kellner des Kapitäns“, wie er stolz erzählt. Auch er wird Weihnachten nicht zu Hause sein. „Wir fahren als nächstes nach Spanien.“ Damit das Haus seiner Familie dennoch durch seine Hand im Lichterglanz erstrahlt, hat Hernandez seinen letzten Urlaub genutzt, um Kugeln und Lametta selbst aufzuhängen. Das war im September.

Dann kommt ein Bus und spült neue Seeleute in das Heim. Weihnachtszeit im Duckdalben ist vielleicht nicht so schön wie am Glühweinstand in der Innenstadt. Aber mindestens genauso bevölkert.