Artist tritt dreimal täglich auf dem Rathausmarkt auf. Als er zehn war, stürzte seine Mutter in den Tod. Er habe keine Angst, aber Respekt vor der Höhe.

Hamburg. Rambo Bügler war zwölf Jahre alt, als er „erwachsen“ wurde, wie er sagt. Denn zum ersten Mal stand er damals auf dem Hochseil – ohne Sicherung. Er habe gewusst, dass er sterben könnte, wenn er jetzt einen Fehler macht. „Nie zuvor habe ich so sehr meinen Überlebensinstinkt gespürt“, sagt der 27-Jährige. Plötzlich habe er die Bilder im Kopf gehabt: das harte Training als Kind, der Sturz der Eltern, der Tod der Mutter, die schwere Verletzung des Vaters – und der ständige Drang zum Weitermachen. Dann setzte Bügler ganz langsam Fuß vor Fuß und ging über das Seil.

Derzeit schwebt der Artist dreimal täglich als Weihnachtsmann über den Rathausmarkt. Seit 13 Jahren gibt es den Roncalli-Markt und von Anfang an ist Bügler dabei. „Und solange der Markt existiert, werden wir auch dabei sein“, sagt er. Mit „wir“ meint er seine Familie, Artisten in siebter Generation. Früher kam er mit seinem Vater und seinen beiden Geschwistern, heute sind seine Frau und die beiden Kinder dabei.

Die Väter der Familie nehmen den Nachwuchs zum ersten Mal mit in die Höhe, wenn dieser gerade einmal drei Monate jung ist. „So gewöhnt man sich von Anfang daran“, sagt Bügler. Mit fünf Jahren stand er selbst zum ersten Mal auf dem Seil. In 50 Zentimeter Höhe musste er auf- und abgehen, zwei, drei Stunden lang. „Damit es Routine wird.“

Manchmal schlug der Vater in einem unerwarteten Augenblick gegen das Seil und von einer Sekunde auf die andere verlor der Junge den Halt. „So lernt man, sich richtig zu fangen.“ Für einen Hochseilartisten sei es keine Seltenheit, dass so etwas auch in 30 Meter Höhe passiert.

Fünfmal im Jahr komme das etwa vor, sagt Bügler. „Dann ist das Seil einfach weg, und man hat nur den Bruchteil einer Sekunde, um sich zu retten.“ Aber auch der beste Artist der Welt könne nichts machen, wenn das Material plötzlich versage.

Mitte der 1990er-Jahre, Bügler war gerade zehn Jahre alt, stürzten seine Eltern bei einer gemeinsamen Motorradfahrt übers Seil in die Tiefe. Das Seil war gerissen. Das kommt vor, ganz selten. Die Mutter war sofort tot, der Vater brach sich zwei Lendenwirbel, lag ein Jahr im Krankenhaus und wollte nicht mehr aufs Seil. „Aber wir wollten als Artisten weitermachen“, sagt Bügler. „Wir kannten es doch nicht anders und haben uns daran geklammert.“ Die Kinder trainierten die Kunststücke der Eltern ein. Als Bügler als Zwölfjähriger zum ersten Mal ungesichert auf dem Seil steht, ist es die Rückkehr einer Artistenfamilie.

Mittlerweile ist Bügler selbst Vater. „Wenn ich der Vernunft nach entscheiden würde, müsste ich aufhören.“ Aber er kann es nicht. Er kennt es nicht anders. Er habe keine Angst, aber Respekt vor der Höhe. Seit er selbst Kinder hat, kontrolliert Bügler das Seil und die Verankerungen noch genauer als früher. Und vor jeder Nummer mehrmals.