Viele Raser gefährden Fußgänger, Händler sind in Sorge. Polizei verstärkt Kontrollen. Erst vor drei Wochen wurden Hunderte Passanten Zeugen eines dramatischen Unfalls am Jungfernstieg.

Neustadt. Der Jungfernstieg gilt als eine der feinsten Adressen Hamburgs. Edle Boutiquen säumen die Vorzeigestraße, Touristen genießen beim Bummeln einen Prachtblick auf die Binnenalster. Doch zum Ärger von Geschäftsleuten und Passanten verwandeln verantwortungslose Autofahrer die Flaniermeile zunehmend in eine Rennstrecke. Trauriger Beleg für die Raserei im Herzen der Hansestadt: zwei Autofahrer, die am Freitagnachmittag mit Tempo 107 geblitzt worden sind – 57 km/h zu schnell.

Erst vor drei Wochen wurden Hunderte Passanten Zeugen eines dramatischen Unfalls am Jungfernstieg. Mutmaßliche Ursache: deutlich überhöhte Geschwindigkeit. Ein 20-Jähriger fuhr mit seinem Smart auf dem linken Fahrstreifen, zog kurz vor den Großen Bleichen auf die rechte Spur, touchierte einen Mercedes, kam ins Schleudern und krachte gegen einen Ampelmast.

Zeugen gaben an, dass der junge Mann deutlich zu schnell gefahren sei und sich mit einem anderen Auto ein Wettrennen geliefert habe. Der Smart war nur noch Schrott, der junge Mann liegt mit einer schweren Kopfverletzung und Brüchen noch immer im Koma. Wäre der Smart nicht mit der Ampel kollidiert, er wäre vermutlich direkt in eine Menschengruppe gerast.

Inzwischen gehören sie zum üblichen Bild am Jungfernstieg: Autofahrer, für die Tempo 50 offenbar nicht mehr als eine Empfehlung ist. Hinzu kommt, dass Geschäftsleute und Kunden durch quietschende Reifen und prahlerisch laut aufheulende Motoren schlicht genervt sind. Allein in diesem Jahr hat die Polizei dort schon mehr als zwölfmal den Verkehr kontrolliert und nach etlichen Beschwerden erst am Freitag im Bereich Ballindamm/Jungfernstieg eine Radarmessung vorgenommen. Das traurige Ergebnis: Die Beamten mussten zwischen 16 und 22 Uhr 60 Verwarnungsgelder für Geschwindigkeitsverstöße von bis zu 20 km/h verhängen sowie zwölf Bußgeldverfahren einleiten. Zwei Raser erwischten sie mit jeweils 107 km/h – ihnen droht neben 280 Euro Bußgeld und vier Punkten in Flensburg ein zweimonatiges Fahrverbot. Weil sie mehr als doppelt so schnell waren als erlaubt, kann dies laut Bußgeldkatalog als Vorsatz gewertet und sogar mit einer doppelten Geldbuße geahndet werden.

Die Polizei stoppte zudem zwei weitere Fahrer mit 96 und 86 km/h. Sie müssen mit Bußgeldern zwischen 160 und 200 Euro sowie einem Monat Fahrverbot rechnen. „Mit 107 durch die Innenstadt zu rasen, grenzt schon an Wahnsinn“, sagt Polizeisprecher Andreas Schöpflin. „Solche Autofahrer gefährden nicht nur sich, sondern auch Passanten. Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass die Polizei präsent ist und immer wieder Kontrollen durchführt.“

Häufig beobachten Passanten und Geschäftsleute, wie Autofahrer eine Extrarunde um die Binnenalster drehen, nur um am Jungfernstieg noch mal zu beschleunigen. Vor allem abends oder am Wochenende, wenn der Verkehr nicht ganz so dicht ist wie zu den Stoßzeiten, geben Raser Gas. Auch sonst scheinen viele Autofahrer die Straße mit einer Rennstrecke zu verwechseln, berichten Geschäftsleute, die hier jeden Tag arbeiten. Ihre Hoffnungen ruhen auf einem harten Durchgreifen der Polizei. „Wir plädieren dringend dafür, dass die Polizei dafür sorgt, dass die Verkehrsregeln eingehalten werden“, sagt Monika Dürrer, Geschäftsführerin beim Einzelhandelsverband Nord.

Einen Platz in der ersten Reihe haben die Mitarbeiter vom MöGrill am S- und U-Bahnhof Jungfernstieg: „Die Autos kommen aus dem Neuen Wall heraus, biegen auf den Jungfernstieg ein und können dann so richtig Gas geben. Das ist sehr gefährlich, da hier auch immer unheimlich viele Touristen sind“, sagt Mitarbeiter Parvesh Chbra. Oft seien es teure Sportwagen und Motorräder, die mit heulendem Motor am Imbiss vorbeifahren.

Auf der anderen Straßenseite steht der Alex-Alsterpavillon. Wer hier draußen sitzt, sieht nicht selten halsbrecherische Beschleunigungsmanöver. „Es ist wirklich brutal, was hier abgeht. Viele fahren ohne Rücksicht auf Verluste. Den Lärm der Motoren hört man manchmal noch bis in den Ballindamm“, sagt Reza Hesse-Aghelmanesch, Bezirksleiter des Alex in Hamburg. Selbst die Präsenz der Polizei schrecke viele Fahrer nicht ab. „Es ist ein Wunder, dass hier nicht schon viel mehr Unfälle passiert sind“, sagt er.

Auch die Passanten haben den Tempo-Leichtsinn der Autofahrer satt: „Hier könnte ruhig etwas langsamer gefahren werden. Mit einer Aufstockung der Blitzer würde man mit Sicherheit ordentlich Geld verdienen“, sagt Steffen Röck. Die Urlauberin Annette Bronner aus Würzburg hätte wiederum nichts gegen eine Tempo 30 Zone, um sicherer die Straße passieren zu können.

Einige Hamburger scheinen sich mit der „Rennstrecke Jungfernstieg“ jedoch schon abgefunden zu haben: „Wenn man oft am Jungfernstieg ist, fallen einem die schnellen Autos gar nicht mehr auf, weil sie leider einfach schon zum Gesamtbild dazugehören“, sagt Lisa Martens.