6500 Gäste feiern in der gemeinsam das Weiße Dinner. Kommendes Jahr wird es stattdessen neun dezentrale Veranstaltungen geben. Das Glückslos hatte Claas Henkel gezogen, Hockeytrainer der Bundesligafrauen des Uhlenhorster HC.

Hamburg. Carpe noctem. Nutze die Nacht – aber bitte nicht auf alltägliche Weise. Für ein paar fidele Stunden war kein Platz für bunte Farben. Chrysanthemen, Federboas, Luftballons, Haarkränze, Hüte und die Kleidung natürlich auch: Roy Blacks Schlager „Ganz in Weiß“ erhielt eine umfassendere und originellere Bedeutung.

Mehr als 6500 Hamburger und auswärtige Gäste folgten der Einladung zum Weißen Dinner am Rande der HafenCity. Seite an Seite, teilweise Hand in Hand zelebrierten sie ein Picknick erster Klasse: stilvoll, elegant, von Charme und Lebenslust beseelt. Einfarbig muss nicht langweilig sein: Tisch an Tisch kam man sich näher.

So wie Daniela Möllenhoff aus St. Georg und David Alleckna aus Eimsbüttel. Die Fotografin und der Musiker verwandelten eine schlichte Bank vor dem „Spiegel“-Hochhaus mittels Kissen und Decken kurzerhand in ihren persönlichen, blütenweißen Diwan. Als Tisch diente der Steinboden. Diese Tafel war gut gedeckt mit Tapas, Oliven, Mozzarella und Tomaten, Gemüsesticks und Obstsalat. Weiße Lilien, ein großer Kerzenleuchter und Teelichter schufen Gemütlichkeit. Und zum Dessert standen weiße Trüffelpralinen bereit. Nur der Rotwein passte nicht ins farbliche Gesamtkunstwerk.

„Ich schätze das Gemeinschaftsgefühl und die Eleganz dieses einmaligen Abends“, sagte Daniela bei einem genüsslichen Schluck aus dem Kristallglas. „Wie schön, dass sich jeder an die Spielregeln hält.“ Ihr Kleid, ein Traum in Weiß, hat zehn Euro gekostet: „Drei weiße Dinner ohne Fleck.“ Auch ein Traum. Freund David kaufte seine weiße Hose einst für die Ferien im Süden. Sein Eindruck: „Alles ist entspannt, freundschaftlich, genussvoll.“

Gestört wurde das lauschige Bankgespräch von einem ICE, der den Hauptbahnhof Richtung Elbbrücken verließ. Wie auf ein – tatsächlich jedoch ohne – Kommando erhoben sich die Weißen an den Uferpromenaden vor den Deichtorhallen und der Ericusspitze, auf der Oberhafenbrücke und auf dem Deich an der Stockmeyerstraße, jubelten und schwenkten weiße Servietten oder Seidentücher.

Mancher Reisende glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Denn ein paar Meter weiter, auf dem Großmarkt, feierten 14.000 das Elbriot Festival mit Heavy Metal. Ganz in Schwarz. Und in Eimsbüttel wurde ein „Buntes Dinner“ mit 200 Nachbarn veranstaltet. Jeder nach seiner Fasson. Fröhliche und Hansestadt Hamburg!

Welch’ Segen, wenn man Muße und Anlass hat, sich selbst zu feiern. Getreu dem Vorbild des Pariser „Diner en blanc“ ging vieles, nur Weiß musste es sein. Wie schon bei den drei Fiestas in den Vorjahren machten alle mit. Ausnahmslos. Ausgediente, indes keinesfalls altmodische Brautkleider, Strumpfhosen mit Bändern, Blumenkränze auch für Herren, gewagte Hutkreationen, passend geschmückte Hunde, Orchideen, unentwegt blitzende Smartphones in weißen Hüllen und gehäkelte Flaschenhüllen rundeten den fantasievollen Gesamteindruck ab. Dabei genoss Mann einen unübersehbaren Frauenüberschuss.

Das Glückslos hatte Claas Henkel gezogen, Hockeytrainer der Bundesligafrauen des Uhlenhorster HC. Zwischen 20 jungen Damen war er der Prinz. Unter der Organisationsleitung von Gloria Efsing und Kristina Hillmann hatten die schlanken Ladys üppig aufgetischt. Als Krönung trugen die Sportlerinnen Blumenkränze im Haar. Die Herren an den Nachbartischen prosteten den Damen entzückt zu: Überwiegend mit Prosecco und Weißwein, nicht selten mit Champagner. So etwas Gewöhnliches wie Bier war überwiegend tabu. Sogar Sportsfreunde mit weißen HSV-Trikots, die sich nach dem K.o. vom Volkspark mutig hinzugesellten, machten gute Miene zum peinlichen Spiel. Ist eben alles eine Frage der Einstellung.

Viele erwiesen sich als Meister der Improvisationskunst: Bei der Kleiderfrage, der Wahl von Tapeziertischen und Campingstühlen, Picknickkörben, Musikinstrumenten und Geschirr. Tupper war weit vorn. Bisweilen dienten alte Obstkisten, mit weißem Tuch bestückt, als Büfetts, Matrosenjacken als Oberteile, Badelaken auf dem Deich als Tischersatz, Arztkittel als Abendkleider. Luftballons stiegen auf, Seifenblasen schwebten durch die laue Luft. Denn auch das Wetter spielte exzellent mit. Übrigens war kein einziger Polizist zu sehen. Applaus für die friedliche, gepflegte Note dieses Dinners. Darauf einen Schluck Vin blanc. Oder ein Raffaelo. Diese kugelige, weiße Praline aus Kokos und Mandel zählte zur vielleicht süßesten, unübersehbaren Verführung.

Um 21.30 Uhr kam auch noch Gänsehaut hinzu. Pünktlich auf die Sekunde, den allgegenwärtigen Handys sei Dank, erhoben sich Tausende und hielten Wunderkerzen in die Höhe. Zuvor waren Helfer mit Sammelboxen von Tisch zu Tisch gegangen, um die Kosten des ehrenamtlich organisierten, nicht kommerziellen und bewusst unpolitischen Großereignisses aufzufangen. Auch die nur spärlich vorhandenen Dixi-Klos müssen bezahlt werden. Die Festgemeinde ließ sich nicht lumpen.

Sehr zur Erleichterung der Initiatorin Manon Dunkel, die direkt an der Ericusspitze mitfeierte und eine Menge Beifall für ihre couragiert umgesetzte Aktion erntete. Um 23.30 Uhr ging sie mit einer Glocke durch die Reihen. Gegen Mitternacht, so die behördliche Auflage, musste Schluss mit lustig sein.

Ein bisschen wurde damit auch das eine große Weiße Dinner in Hamburg abgeläutet. Denn im kommenden Jahr wird es stattdessen zeitgleich mindestens neun dezentrale Stadtteilveranstaltungen geben – andere wollen auf den Zug aufspringen. Ist das der Anfang vom Ende einer erstklassigen Idee?