Der Langstreckenjet A350 wiegt deutlich weniger als herkömmliche Flugzeuge. Was das Hamburger Werk auf Finkenwerder zum Hoffnungsträger von Airbus beiträgt.

Hamburg. Der neue Hoffnungsträger von Airbus, der mittelgroße Langstreckenjet A350, hat im Juni mit dem Erstflug einen wichtigen Meilenstein erreicht. Doch jetzt geht es darum, die industrielle Produktion zum Laufen zu bringen – und dabei spielt Hamburg eine wichtige Rolle. Zwar erfolgt die Endmontage in Toulouse. Aber der komplette hintere Rumpfabschnitt kommt aus der Hansestadt, außerdem sind Ingenieure aus Hamburg für die Entwicklung der Kabine je nach den Wünschen der Kunden verantwortlich. Das Abendblatt besuchte eine Reihe von Teams, die auf Finkenwerder an dem neuen Jet arbeiten.

Keine Stolperfallen mehr

Rainer Kriewall muss bei seiner Arbeit weit in die Zukunft schauen: „Bei den Infotainment-Systemen sind die Entwicklungszyklen superkurz, aber wir müssen darauf achten, dass wir mit dem ins Flugzeug eingebauten System auch in zehn Jahren noch auf der Höhe der Zeit sind.“ So wird beim A350 über die Kabinenelektronik und eine Satellitenantenne zum Beispiel Telemedizin möglich sein: „Flugbegleiter können eine Erstversorgung mit Live-Unterstützung von Ärzten am Boden vornehmen.“ Auch wenn das Team von Kriewall, das zu Spitzenzeiten 120 Ingenieure umfasste und heute noch 65 Mitglieder hat, unter anderem für die Sitze und das Bordunterhaltungssystem zuständig ist, gehört die Entwicklung dieser Einbauten nicht zu den Aufgaben.

„Wir stellen sicher, dass alles zulassungsfähig ist und zum Beispiel den Brandschutzvorschriften entspricht“, erklärt Kriewall. Eine Airbus-Idee ist aber die beim A350 neuartige Verlegung der Kabel, die am Fußboden von den Infotainment-Servern zu den Monitoren in den Sitzen führen: Die Kabel liegen versenkt in Schächten, der Boden ist damit völlig eben. „Das ist revolutionär“, sagt Kriewall. „Bisher hat man sie quasi ‚auf Putz‘ verlegt, sodass man darüber stolpern konnte.“ Außerdem führt jetzt nur noch ein Kabel zu jedem Sitz, bisher waren es bis zu vier: „Das bringt eine Gewichtsersparnis von 30 Prozent.“

Auch mehr Beinfreiheit gebe es im neuen Langstreckenjet: Anstelle sperriger Elektronikboxen unter den Sitzen ist die Technik nun in schmalen Gehäusen an den Sitzbeinen untergebracht. Mit knapp sechs Millionen Euro ist die Bordunterhaltungsanlage das teuerste Kabinensystem. Kriewall ist schon gespannt darauf, wie die ersten Praxistests im September verlaufen: In einer Halle in Hamburg werden Airbus-Beschäftigte auf A350-Sitzen die Technik auf „virtuellen Flügen“ jeweils mehrere Stunden lang ausprobieren.

53 Prozent des Jets sind aus Kunststoff

25 Prozent weniger Treibstoff als bisherige Jets vergleichbarer Größe soll der A350 verbrauchen. Das Team von Sven Uhlemann, zu dem rund 200 Airbus-Mitarbeiter gehören, hat erheblichen Anteil an diesem Fortschritt. Uhlemann ist Entwicklungsleiter für die sogenannte Sektion 16-19, das ist der hintere Rumpfabschnitt. Voll ausgerüstet mit Kabeln und Leitungen wiegt dieser zwar fünf Tonnen. Doch der A350 ist der erste Airbus-Ziviljet mit einem Rumpf aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK) – „und Bauteile aus diesem Material sind im Schnitt etwa 30 Prozent leichter als aus Metall gefertigt“, sagt Uhlemann.

Airbus kann auf eine langjährige Erfahrung mit CFK zurückgreifen; schon seit 1985 werden die Seitenleitwerke daraus hergestellt, beim A380 unter anderem auch die Fußbodenelemente. Doch bei dem doppelstöckigen Giganten liegt der Gewichtsanteil des Hightech-Kunststoffs erst bei 25 Prozent, beim A350 sind es 53 Prozent. „Der größte Unterschied im Vergleich zur Metallbauweise ist, dass man auch das Material selbst konstruiert und die Eigenschaften nicht vorgegeben sind“, erklärt Uhlemann.

Denn die Rumpfschalen bestehen aus zahlreichen übereinandergelegten Schichten, die dann bei hoher Temperatur „zusammengebacken“ werden, und je nach der Faserrichtung kann man zum Beispiel die Steifigkeit den Anforderungen anpassen. Ein weiterer Vorteil des neuen Materials: „Wir können eine Korrosionsgarantie von zwölf Jahren geben.“ Das ist mindestens doppelt so lange wie bei bisherigen Flugzeugtypen. Entwickelt wurden die Rumpfsektionen mit einem Computerprogramm, das dreidimensionale Darstellungen ermöglicht. „Beim A350-Programm arbeiten die Zulieferer mit dem gleichen System“, so Uhlemann. „Das Ergebnis: „In der Produktion passt praktisch alles auf den Punkt, es gab sehr wenig Beanstandungen“ – eine Leistung, die Uhlemann stolz auf sein Team macht.

Auch wenn der Entwurf des Grundmodells abgeschlossen ist, geht dem Team die Arbeit nicht aus: „Bis Dezember muss die Dokumentation, die für die Typenzulassung nötig ist, fertig sein. Darin beschreiben wir jedes einzelne Teil bis hin zu der Methode, die wir bei der Berechnung verwendet haben.“ Und in den nächsten Jahren wird es darum gehen, Details am Rumpf den speziellen Kundenwünschen anzupassen.

Ein Showroom für Flugzeugsitze

„Die Kabine ist die Visitenkarte der Fluggesellschaft, damit hebt sie sich im Wettbewerb ab“, sagt Stefanie von Linstow, Airbus-Managerin für das Kabinenmarketing. Dabei biete der neue A350 den Airlines einen wesentlichen Vorteil: Der Innenraum sei um 12,5 Zentimeter breiter als der des Boeing-Konkurrenzmodells 787 und dies gestatte breitere Sitze – was schon angesichts der in manchen Teilen der Erde tendenziell korpulenter werdenden Bevölkerung von Bedeutung sei.

Zu den Aufgaben der Deutsch-Französin gehört die Kabinen-Präsentation bei potenziellen Kunden, rund 50 Fluggesellschaften hat sie schon besucht. Der neue Flieger sei mit größeren Fenstern und komfortablerem Klima aber nicht nur passagierfreundlicher als bisherige Jets. Er biete den Airlines auch größere Flexibilität: „Die Einbauplätze für Küchen und Waschräume können zollweise verschoben werden, das verringert den Aufwand bei Änderungen der Kabinenauslegung.“

Im Hinblick auf die Ausstattung geht Airbus nun allerdings einen anderen Weg als etwa beim A380. Anstatt den Kunden vollständige Freiheit zu gewähren, was die Ingenieure vor hohe Herausforderungen stellt, gibt es nun einen Katalog mit vorab entwickelten Optionen – ähnlich wie in der Autobranche. „Dadurch kann eine Fluggesellschaft ihren Jet aber auch schneller erhalten“, sagt Jörg Schuler, Leiter Cabin & Cargo bei Airbus.

Zum Jahresende soll zudem ein „Showroom“ in Hamburg offiziell eröffnet werden, in dem Airline-Manager die Kabinenausstattung zusammenstellen können. „Mit ersten Kunden gehen wir schon jetzt dorthin“, so Schuler. Eine immer wichtigere Rolle für die Fluggesellschaften spielt die Kabinenelektronik, die den Passagieren inzwischen auch Telefonate mit dem eigenen Handy ermöglicht – wenigstens theoretisch. Denn hierzu haben die Airlines keine einheitliche Haltung: „Kunden aus dem mittleren Osten neigen dazu, den Fluggästen die Sprachtelefonie zu gestatten, europäische Kunden lehnen das eher ab“, sagt Stefanie von Linstow.

1000 verschiedene Küchen

Mindestens 15-mal war Klemens Kaiba in diesem Jahr schon in England. Denn dort hat die Sparte des Luftfahrtzulieferers B/E Aerospace, die den Auftrag für die Entwicklung der A350-Bordküchen erhalten hat, ihren Sitz. „Nach Jahren der Theorie sind wir nun in einer sehr spannenden Phase, weil es jetzt etwas zum Anfassen gibt“, sagt Kaiba. „Aber es herrscht auch Lieferdruck.“ Der Ingenieur leitet ein Team von rund einem Dutzend Mitarbeitern, das etwa 800 Anforderungen für die Küchen formuliert hat, nach denen sich der Zulieferer richten muss.

Manche der Teammitglieder arbeiten in Mobile in den USA, andere bei einem Ingenieurdienstleister in Rostock: „Es ist nicht immer ganz einfach, sie alle unter einen Hut zu bringen.“ Neun Küchen gibt es in einem A350. Aktuell laufen letzte Tests an den echten Einheiten. Mit dem neuen Langstreckenjet hat Airbus die Bestellpraxis geändert: Bisher wurde der Küchenhersteller vom Käufer des Flugzeugs ausgewählt, nun aber bietet Airbus den Kunden in einem Katalog eine Auswahl von Bordküchen – es sind mehr als 1000 Varianten möglich – des Zulieferers B/E Aerospace. Damit sei eine besondere Herausforderung verbunden, sagt Kaiba: „Diese Küchen sollen besser sein als die, die der Kunde selber bestellen konnte.“

800 Mitarbeiter montieren Rümpfe

In der 150 Millionen Euro teuren A350-Rumpfmontagehalle auf Finkenwerder, für deren Betrieb Eckart Frankenberger verantwortlich ist, wird die hintere Rumpfsektion aus bis zu 17 Meter langen Kohlefaserschalen zusammengefügt.

Hier läuft ein weltweites Netzwerk an Zulieferern zusammen, auch die Großkomponenten werden angeliefert: Die Rumpfober- und Unterschalen kommen aus Stade, die Seitenschalen aus Augsburg, die Heckspitze aus Spanien.

Schon jetzt sind in der Halle mehrere der Rumpfsektionen mit knapp sechs Meter Durchmesser, überzogen mit einem blassgelben Schutzlack, zu sehen. Doch in den nächsten Jahren wird sich der Produktionstakt erheblich beschleunigen: Aktuell wird pro Monat eines dieser Elemente komplettiert, im Jahr 2018 sollen es bereits zehn sein. „Ein so schneller Produktionshochlauf ist einmalig im Zivilflugzeugbau“, sagt der promovierte Ingenieur.

Bei Airbus hat man sich eine Reihe von Maßnahmen einfallen lassen, um die Fertigung gegenüber bisherigen Flugzeugtypen effizienter zu gestalten. So gibt es beim bisherigen Langstreckenjet A330 sechs Längsnähte, an denen die Rumpfschalen vernietet werden müssen, beim A350 sind es nur noch vier – diese Bauweise ging aus einem von Hamburg geförderten Forschungsprojekt hervor.

Die Ausstattung des Rumpfes geschieht erstmals mit großen vormontierten Bauteilen. So wird zum Beispiel das Deckenmodul mit Klimarohren, Versorgungsleitungen und den Befestigungen für die Gepäckablagefächer außerhalb des Rumpfes vormontiert und dann als Ganzes im Rumpf fixiert. „Damit entfällt die Überkopfmontage, die ergonomisch sehr ungünstig war“, so Frankenberger. Gegen Jahresende sollen schon 800 Beschäftigte in dieser Halle arbeiten. Drei Monate lang wurden sie für den Umgang mit dem ungewohnten Kohlefaserwerkstoff geschult, der neue Anforderungen stellt: „Das Material ist deutlich härter als Aluminium, wir haben einen höheren Verschleiß an Bohrern.“

Neuer Lieferant für Waschräume

Das Team von 15 Personen, das von Christian Binder geleitet wird, hat auch schon an den Duschen für den A380 gearbeitet. Für den neuen A350 hat zwar bisher kein Kunde diesen Luxus bestellt. Aber das bedeutet nicht, dass Binders Aufgabe nun langweilig wäre: Bislang wurden die Bordtoiletten in jedem Airbus von dem Hamburger Zulieferer Diehl Comfort Modules (früher Dasell) gefertigt, beim A350 aber kommen sie von einer kalifornischen Tochter des französischen Konzerns Zodiac.

„Wir stellen für die Kunden einen Katalog zusammen, in dem sie unter verschiedenen Spiegelschränken und unterschiedlichen Lichttechnik-Varianten wählen können“, sagt Binder. „Bei Wasserhähnen und Müllklappen geht die Tendenz aus hygienischen Gründen zur berührungslosen Bedienung, aber das ist noch nicht der Standard. Es kostet einen Aufpreis.“ Neun bis zehn Waschräume wird es in einem A350 geben. „Ein erster Satz ist bereits an die Endmontagelinie in Toulouse gegangen“, so Binder. Der dritte Testjet wird mit einer vollständigen Kabinenausstattung abheben. „Wir rechnen damit, dass wir ihn um den Jahreswechsel fliegen sehen.“