Baukonzern Hochtief ist nach mehr als vier Monaten zum Weiterbau am Dach bereit. Gericht muss über nötige Mehrkosten entscheiden.

HafenCity. Ob es an dem hochrangigen Gast liegt, dass es nun doch einen Ausweg gibt? Wenn Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) heute mit José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission und am Abend Ehrengast der Matthiae Mahlzeit im Rathaus, die Elbphilharmonie besichtigt, kann sie ihm jedenfalls ein Projekt mit Perspektive präsentieren. Denn nachdem sich zumindest im öffentlichen Teil der Baustelle seit Monaten nichts getan hat, präsentierte der Baukonzern Hochtief gestern eine Lösung für die verfahrene Situation.

Man werde "technische Nachrüstungen" an dem komplizierten Saaldach vornehmen, die die von Hochtief angezweifelte Sicherheit gewährleisten, teilte der Essener Konzern um 16.25 Uhr mit. Parallel lasse man aber in einem "gerichtlichen Beweissicherungsverfahren" klären, ob die Nachrüstungen nötig sind, um Folgeschäden wie Risse in der Innenverkleidung des Großen Saals oder gar ein Einknicken der Konstruktion zu vermeiden. "Unser Lösungsvorschlag ermöglicht den Weiterbau", sagte Hochtief-Vorstandsmitglied Rainer Eichholz. "Gleichzeitig wahren alle Beteiligten ihre Rechtsposition. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Stadt dem Vorgehen zustimmen und aktiv mitarbeiten wird."

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Nachdem Eichholz und Kisseler noch bis in den Nachmittag die Lösung telefonisch abgestimmt hatten, ließ die erhoffte Zustimmung auch nicht lange auf sich warten. "Wir begrüßen, dass Hochtief nunmehr einen Vorschlag für einen zügigen Weiterbau am Saaldach gemacht hat", teilte die Kultursenatorin per Pressemitteilung um 17.19 Uhr mit. "Nach den Verstimmungen der letzten Tage hat Hochtief endlich einen konstruktiven Weg eingeschlagen, der auch eine Lösung der noch offenen Punkte möglich macht." Man werde nun "zügig" weitere Gespräche über den Fortgang des Projekts führen. Dem Beweissicherungsverfahren sehe die Stadt gelassen entgegen, sagt die Senatorin, da aus ihrer Sicht die Sicherheit der Dachstatik mehrfach bestätigt worden sei.

Einen kleinen Seitenhieb konnte sich Kisseler, die schon kurz nach Amtsantritt unmissverständlich klargestellt hatte, dass die Stadt "keine Spielchen" mehr mitmache, aber nicht verkneifen. "Die Hartnäckigkeit der Stadt zeigt offenbar Wirkung", teilte sie mit und rieb dem Baukonzern damit noch einmal unter die Nase, wer sich aus ihrer Sicht letztlich durchgesetzt hat.

Der Streit um die aufwendige Dachkonstruktion zieht sich jetzt seit Mitte 2009 hin. Ausgangspunkt war die Statik, die ein Nachunternehmer der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron aufgestellt hatte. Hochtief hatte Bedenken angemeldet, dass einzelne Stahlstreben dem enormen Gewicht von am Ende fast 8000 Tonnen - so viel wie 14 Airbusse A380 - möglicherweise nicht standhalten werden. Diese Bedenken wurden von einem unabhängigen Prüfstatiker in Teilen bestätigt.

Weil die Stadt als Auftraggeber des Konzerthauses diese Auffassung jedoch nicht teilte, begann ein kaum durchschaubares Gezerre um Gutachten, Gegengutachten und Vorwürfen über Vorenthaltung von Unterlagen. Schließlich bat Hochtief darum, die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) als neutralen Prüfer einzuschalten, und informierte Kultursenatorin Kisseler, dass man die Arbeiten am Saaldach Mitte Oktober einstellen werde. So kam es.

Nach etlichen Krisentreffen und gegenseitigen Schuldzuweisungen entschied die BSU vor wenigen Wochen schließlich, dass das Dach aus ihrer Sicht sicher sei. Die Rechtsexperten von Hochtief sind aber weiterhin der Meinung, dass Mitarbeiter des Konzerns sich strafbar machen könnten, wenn sie etwas bauen, von dessen Sicherheit sie nicht überzeugt sind. Daher jetzt die salomonische Lösung, dass Hochtief die Konstruktion nach eigenem Ermessen verstärkt und damit auch die Verantwortung für die Sicherheit des Dachs übernimmt. Ohnehin ging und geht es zunächst "nur" darum, das derzeit etwa 2000 Tonnen schwere Dach "abzusenken". Zurzeit lagert die gewaltige Stahlkonstruktion auf 21 sogenannten Auflagern, die jetzt Schritt für Schritt entfernt werden müssen, um das Gewicht auf die Gebäudehülle zu übertragen. Erst danach kommen noch einmal 6000 Tonnen Gewicht obendrauf - Haustechnik wie Heizung, Lüftung und Kabel sowie die nach außen sichtbare zweite Dachhülle in der markanten Wellenform.

Wenn Hochtief diesen Schritt jetzt geht, sind die Probleme aber keineswegs alle gelöst. Denn auch an der 80 Meter langen Rolltreppe im Inneren des Gebäudes, an der Bestandsfassade des Kaispeichers A aus den 60er-Jahren sowie an der Haustechnik wurde seit Monaten nicht mehr gearbeitet - in allen Punkten streiten sich Hochtief und die Stadt darüber, wer welche Pläne nicht oder zu spät vorgelegt hat, was ein Mangel ist oder nicht und wer gegebenenfalls dafür verantwortlich ist.

Die Frage der Verantwortung für Probleme ist wiederum entscheidend für die Aufteilung der Kosten. Bislang beträgt der städtische Anteil an dem Bauwerk 323 Millionen Euro. Das setzt aber voraus, dass Hochtief das Gebäude am 28. Februar - also in vier Tagen - fertig übergibt. Realistisch ist aber eine Fertigstellung 2014 oder 2015, was allein wegen der längeren Bauzeit unweigerlich zu enormen Mehrkosten führt. Bislang fordert Hochtief 60 Millionen Euro mehr, die Stadt erwartet aber, dass diese Forderung auf mehr als 100 Millionen Euro steigen wird. Allerdings fordert sie ihrerseits wegen nicht eingehaltener Termine auch 40 Millionen Euro Vertragsstrafe von Hochtief.

Mit diesen Fragen beschäftigen sich längst Gerichte. Insofern wurde es gestern als Hoffnungsschimmer interpretiert, dass beide Seiten auch ohne Richter eine Lösung gefunden haben.