Nie waren Hamburgs Medien so nah an einem weltpolitischen Ereignis dran. Ein Gespräch über G20 mit den Chefredakteuren Kai Gniffke („Tagesschau“), Klaus Brinkbäumer („Der Spiegel“), Christian Krug („Stern“) und Lars Haider (Hamburger Abendblatt).
Lars Haider (Hamburger Abendblatt): Der „Spiegel“ hat mit „Hauptstadt Hamburg“ getitelt, der „Stern“ mit „Festung Hamburg“. Was kommt der Lage kurz vor dem G20-Gipfel am nächsten?
Kai Gniffke („Tagesschau“): Natürlich ahnen wir, dass Hamburg eine Festung wird. Mir ist wichtig, dass wir trotz der Sicherheitsmaßnahmen nicht die Inhalte des Treffens aus dem Blick verlieren.
Christian Krug („Stern“): Es ist schon hochinteressant, wie der Staat sich hier zeigt und mit welchem massiven Aufgebot er den Protesten begegnen will. Das Schlimme ist, dass diejenigen, die friedlich protestieren wollen, von vielleicht 1000 Militanten überlagert werden, die nur nach Hamburg kommen, um hier Schutt und Asche zu hinterlassen.
Klaus Brinkbäumer („Spiegel“): Die Leute, die für die Sicherheit verantwortlich sind, machen sich ja durchaus ernsthaft Sorgen. Die Angst vor Eskalationen, die niemand mehr kontrollieren kann, ist ebenso da wie jene vor Terroranschlägen.
Gniffke: Die Hauptsorge ist: Was passiert, wenn eintritt, was keiner hofft, und es Schwerverletzte oder Schlimmeres gibt? Dann könnte eine unkontrollierbare Situation entstehen.
Haider: Viele Unternehmen erlauben ihren Mitarbeitern, während des Gipfels von zu Hause aus zu arbeiten. Wie ist das in Ihren Redaktionen?
Krug: Gruner + Jahr gewährt seinen Mitarbeitern am Freitag einen Tag Sonderurlaub. Die „Stern“-Redaktion ist während des G20-Wochenendes natürlich fast voll besetzt. Wir als Hamburger Redaktion sehen den Gipfel als besondere Herausforderung, schließlich befinden wir uns mitten im Geschehen. Das ist journalistisch eine enorme Chance.
Brinkbäumer: Der „Spiegel“ gibt vielen Verlagsmitarbeitern und Redakteuren und Redakteurinnen, die nicht aktuell arbeiten, ab Donnerstag, 15 Uhr, frei. Teile der Redaktion haben am Freitag frei, weil es schon schwer genug werden dürfte, in die Stadt zu kommen.
Haider: Es ist interessant, wie sich die Wahrnehmung eines Gipfels ändert, wenn er plötzlich in der eigenen Stadt ist. In der Redaktion des Abendblatts reichen die Reaktionen von „sehr spannend“ bis „ziemlich mulmig“.
Krug: Mich wundert das gar nicht. Weder Deutschland noch Hamburg haben G20 bisher ausgerichtet, das ist eine neue Erfahrung. Und deswegen darf man das Thema auch von allen Seiten ernst nehmen. Ich finde, die Polizei geht in Hamburg bisher mit Augenmaß vor, der Situation angemessen.
Haider: Die Proteste haben ihren Raum.
Krug: Es gab noch nie so viele Demonstrationen im Zentrum eines G20-Gipfels wie jetzt in Hamburg. Kein Staat hat jemals zugelassen, dass die Gegner derart nah an die Staats- und Regierungschefs herankommen.
Haider: Auch die Redaktionen werden so nah wie selten an die mächtigsten Politiker kommen. Mit wem planen Sie Interviews?
Brinkbäumer: Das kann ich noch nicht verraten, vieles wird verschoben und vieles abgesagt werden oder vielleicht auch kurzfristig klappen. Natürlich haben wir Anfragen hinausgeschickt, und es gibt Zusagen.
Krug: Auch wir haben Interviews organisiert. Doch wer mag jetzt voraussehen, was genau passieren wird? Wenn es auf dem Gipfel plötzlich hektisch wird, sagen die Staatschefs Interviewtermine wieder ab. Dann müssen unsere Reporter auch situativ reagieren.
Haider: Auf wen freuen sich Ihre Redaktionen am meisten?
Gniffke: Auf alle Neuen.
Krug: Das Zusammentreffen von Trump und Putin wird sehr interessant. Erdogan ist immer für eine Überraschung gut. Und dann stellt sich die Frage, welche Rolle Emmanuel Macron einnehmen wird. Ich finde es wohlfeil, G20 mit der Begründung abzulehnen, dass dabei sowieso nichts herauskommt. Da kann politisch einiges passieren.
Brinkbäumer: Ich finde die Gruppe der Mächtigen als Ganzes interessant. Wie interagieren die, wer spricht, wer scherzt mit wem? Wie dominant kann Angela Merkel sein, wie kann sie G20 für den Wahlkampf nutzen? Wie verhält sich Trump, wie umkreisen sich die amerikanische und die russische Delegation?
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Haider: Aus der SPD gibt es die Forderung an Merkel, sie müsse Trump wegen dessen Ausstieg aus dem Pariser Klimavertrag auf dem Gipfel isolieren.
Gniffke: Politik ist ja nicht das Aufarbeiten von irgendwelchen hormonellen Aufwallungen.
Brinkbäumer: Manchmal schon.
Gniffke: Es sollte zumindest nicht darum gehen, dass Trump jetzt eine Art Klassenkeile bekommt. Man muss G20 dazu nutzen, eine Basis für die weitere Zusammenarbeit zu finden. Die haben die meisten anderen Staatschefs mit Trump ja noch nicht. Angela Merkel hat zum Glück eine lange Erfahrung auch mit schwierigen und fast schon neurotischen Amtskollegen.
Brinkbäumer: Eine klare Botschaft an Trump, was den Klimaschutz angeht, wäre inhaltlich angebracht. Die anderen großen Nationen sollten den USA zeigen, dass sie diesen falschen Kurs eingeschlagen haben. Es geht nicht darum, dem US-Präsidenten Klassenkeile zu verpassen, es geht um kluge Politik. Dieses Zeichen wäre besser, als wenn nun andere sich hinter Trump einreihen würden, nur weil die USA halt so groß und wichtig sind.
Krug: Es wird sich auch erstmals zeigen, ob dieser amerikanische Präsident zugänglich ist. Alle seine Vorgänger waren es. Keiner hat sich einer Diskussion gänzlich verweigert, jeder war für Argumente zu haben. In Hamburg wird sich unser Bild von Trump in dieser Hinsicht weiter schärfen. Ist er ein politischer Autist, oder kann er auch zuhören?
Haider: Alle sprechen über Trump, Putin, Erdogan. Welche Rolle spielen die Chefs der anderen großen Länder wie Indien, Indonesien oder China?
Gniffke: Eine viel wichtigere, als wir alle denken. Wenn es zum Beispiel um den freien Welthandel geht, dann sind das die Alliierten der EU.
Brinkbäumer: Je nach Thema gibt es unterschiedliche Bedeutungen und Allianzen. Die wichtigsten sind die gerade genannten Länder, abgesehen von China, aber nicht. Das sind Russland und die USA und mit Abstand Deutschland als Gastgeber.
Gniffke: Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Wahlkampf sind. G20 ist für Angela Merkel schon eine besondere Herausforderung.
Haider: Und ein Risiko?
Brinkbäumer: Natürlich.
Gniffke: Sie muss Donald Trump schon öffentlichkeitswirksam widersprechen, darf es aber auch nicht übertreiben.
Brinkbäumer: G20 ist für Merkel deutlich mehr Chance als Risiko, weil sie damit das Podium erklimmt, das Martin Schulz im Moment nicht hat. Der steht während des Gipfels auf irgendwelchen Marktplätzen in Deutschland, und sie hat die großen Auftritte in Hamburg.
Krug: Schulz sagt, er habe das Ohr am Volk. Merkel aber repräsentiert das Volk. Für die Kanzlerin ist der Gipfel zu 90 Prozent eine Chance, die sie normalerweise nicht auslässt.

Haider: Und für Hamburg? Was wird die Stadt davon haben?
Brinkbäumer: Wenn es weitgehend ohne Gewalt und vor allem ohne Terroranschlag abgeht, wird G20 für Hamburg Werbung sein. Die Bilder, die von der Elbphilharmonie um die Welt gehen, werden eine große Wirkung haben. Dann kann Hamburg ein Name sein, den jeder kennt.
Gniffke: Aber es ist, anders als bei Frau Merkel, eine 50:50-Chance. Wenn etwas passiert, wie damals in Genua, bleibt das auch an der Stadt hängen. Sonst sind die Bilder grandios.
Krug: Wenn am Ende nur Bilder von brennenden Autos oder von Ausschreitungen im Schanzenviertel um die Welt gehen, ist das für den Tourismus natürlich fatal. Deswegen ist für Olaf Scholz das Ja zu G20 mit einem viel größeren Risiko verbunden als für Angela Merkel.
Haider: Der Bürgermeister Olaf Scholz hat bei G20 nur eine Nebenrolle.
Brinkbäumer: Aber er kann viel aus Nebenrollen machen, das beherrscht er ganz gut.
Krug: Und er kann sich bundespolitisch inszenieren.
Haider: Vielleicht überschätzen wir die Wirkung eines G20-Gipfels auf die Zukunft einer Stadt auch. Am Ende geht es um gut 48 Stunden.
Brinkbäumer: Die Titelzeile „Hauptstadt Hamburg“ haben wir ja nicht nur wegen G20 gemacht, sondern auch wegen der geradezu magischen Kraft der Elbphilharmonie, wegen der steigenden Tourismuszahlen und weil das Gefühl in dieser Stadt auf einmal ein anderes ist. Da ist viel Humor, da ist ein neues Selbstbewusstsein zu spüren. Es kann sein, dass sich dies durch G20 bestätigt, wenn die Stadt sich gelassen präsentiert. Aber der Gipfel wird jetzt nicht auf Dauer das Image der Stadt prägen.
Krug: Auf jeden Fall wird man aus Berlin seltener hören, dass wir hier oben Provinz sind. Wenn G20 gelingt, werden wir auch auf der politischen Landkarte stärker verankert sein. Das Interesse an Hamburg ist übrigens in Deutschland sehr groß: Zumindest haben sich Hamburg-Titel des „Stern“ besser verkauft als „Berlin“-Titel – und die liefen schon sehr gut. Hamburg wird immer relevanter. Darunter leiden übrigens am meisten die Münchner.
Gniffke: Ich würde mir wünschen, dass die Hamburger auch nach einem gelungenen G20-Gipfel hanseatisch bleiben. Und nicht daraus ableiten, dass sie nun ultimativ in der wichtigsten und schönsten Stadt der Welt leben.
Haider: Haben einige Hamburger nicht in Wirklichkeit ein kleines Problem damit, dass ihre Stadt jetzt die Weltstadt ist, von der sie früher immer geträumt haben?
Krug: Die Hamburger lassen sich ja ungern in ihrer Ruhe stören. Man möchte gerne wahrgenommen werden, aber ohne unangenehme Begleiterscheinungen wie zu viele Touristen in Funktionswesten oder zu viel Verkehr.
Haider: In einer Abendblatt-Umfrage hat jeder Dritte gesagt, dass er während G20 die Stadt verlassen will.
Krug: Wo wollen die denn alle hin? Ich finde es spannend, gerade jetzt hier zu sein. Und was will man seinen Enkeln erzählen, wenn die später mal fragen, wie der G20-Gipfel in Hamburg war? Da kann man doch nicht sagen: Keine Ahnung, ich war auf Sylt.
Haider: Für einen Journalisten ist es ein Traum, dass G20 in der eigenen Stadt ist. Für den „Stern“, der am Donnerstag erscheint, und für den „Spiegel“, der Sonnabend herauskommt, ist der Termin aber ein Albtraum, oder?
Krug: Wir haben montags Redaktionsschluss und die Erfahrung gemacht, dass bei solchen Ereignissen das Interesse der Leser auch gut eine Woche später noch groß ist; stern.de wird natürlich aktuell berichten.
Brinkbäumer: Der Termin ist für uns nicht ideal. G20 liegt zwischen unserem Redaktionsschluss in der Nacht von Donnerstag auf Freitag und dem Erscheinen des neuen Heftes am Sonnabend. Aber so etwas tut nicht weh, wir haben ja digitale Angebote wie „Daily“ und vor allem „Spiegel online“ und außerdem „Spiegel TV“.
Haider: Was gibt es live in der ARD?
Gniffke: Es gibt mehrere Live-Strecken im Ersten und im NDR Fernsehen. Und wir werden Freitagabend auch Ausschnitte aus dem Konzert in der Elbphilharmonie zeigen.
Haider: Wo wird eigentlich in all der Berichterstattung der Kanzlerkandidat der SPD auftauchen?
Brinkbäumer: Es hat eine journalistische Bedeutung, was Martin Schulz zu den Dingen sagt, die auf dem Gipfel passieren. Wie beurteilt er Ergebnisse, wie die potenziellen Entgleisungen Donald Trumps, einzelne Vorkommnisse? Der wird gefragt und gehört werden.
Krug: Und die SPD, das zeigt schon die Feuerlöschaktion in Saudi-Arabien, ist ja mit Sigmar Gabriel im Hintergrund sehr gut auf dem Gipfel vertreten.
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