Mode und Möbel, Babys und Blechlawinen: Die Zeichen stehen auf Wachstum, doch der hat seinen Preis

Wenn Hamburg das Tor zur Welt, ist, dann ist Schnelsen - um bei diesem Bild zu bleiben - das Tor zu Hamburg. Gewaltige Pendlerströme aus dem Westen und Norden der Metropolregion schwappen morgens durch den Stadtteil hinein, zum Abend hin wieder hinaus. Häufig genug vollzieht sich diese pulsierende Bewegung in zähem Fluss. Seine großen Verkehrsachsen, allen voran die Autobahn 7, die wie ein Canyon den Stadtteil durchschneidet, sind für Schnelsen Segen und Fluch zugleich. Es gibt nur wenige Stadtteile, die wie Schnelsen gleich zwei Autobahnzufahrten aufweisen - Tag für Tagpassiert von bis zu 150 000 Autos. Für Staugeplagte ein Dauerbrenner im Verkehrsfunk.

Schnelsen steht, positiv betrachtet, für Dynamik und Wachstum. Die Einwohnerzahl steigt kontinuierlich, in der jüngsten Vergangenheit allein um fast 3000 Einwohner. In den 1990er-Jahren ist mit der Großsiedlung Burgwedel ein ganzer Stadtteil im Stadtteil neu entstanden.

+++ Name & Geschichte +++

+++ Der Stadtteil-Pate: Bernd-Olaf Struppek +++

+++ Töchter & Söhne +++

+++ Kurz & knapp +++

+++ Zahlen & Fakten +++

Mit Swatthacken in die Kirche

Menschen haben in dieser Gegend vermutlich von der älteren Steinzeit an gelebt. Spuren erster Besiedlung wurden am Klingberg, ein paar Hundert Meter südlich des Gutes Wendlohe, gefunden. Bis 1640 gehörte Schnelsen zur Grafschaft Pinneberg. Mitte des 17. Jahrhunderts zählte das Örtchen 14 Bauernhöfe, nach der großen Landreform 1789 waren es 36 Höfe. Wer nach den Spuren vom einst dörflichen Schnelsen sucht, findet sie noch am Bornkasthof an der Frohmestraße, am Sassenhof, wo die Schnelsener in der Weihnachtszeit gerne den Christbaum kaufen, und am Gut Wendlohe.

An die alten Zeiten erinnert auch der Stumpf der Windmühle an der Peter-Timm-Straße, deren Namensgeber einst Dorfvogt war. Bis 1770 gehörten die Schnelsener zum St.-Johannis-Kirchspiel in Eppendorf, wohin sie sich sonntags zum Gottesdienst aufmachten. Der Weg war lang und häufig matschig. Und so kamen die Schnelsener wegen ihrer schmutzigen Schuhe zum Spitznamen Swatthacken.

Nach 1830 hielt der Verkehr der Moderne Einzug in Schnelsen. Die erste am Reißbrett geplante, künstlich angelegte Fernstraße, die Kieler Straße von Altona gen Kiel, wurde 1832 eröffnet; 1841 folgte die Fertigstellung der Trasse von Schnelsen Richtung Lübeck (Oldesloer Straße).

Das älteste öffentliche Verkehrsmittel des Stadtteils, die Altona-Kaltenkirchener-Eisenbahn, Vorgängerin der heutigen AKN, beförderte von 1884 an Güter und Personen von Altona über den Eidelstedter Markt bis Schnelsen und weiter nach Quickborn. An Sonn- und Feiertagen fuhren die Erholungssuchenden mit der Bahn, aber auch mit Pferd und Wagen über die Holsteiner Chaussee ins Grüne. An diese Zeit erinnert das Hotel Ausspann (ehemals Lüdemanns Gasthaus) an der Holsteiner Chaussee 428.

Schön und schaurig

Hier und da stehen noch wunderschöne Villen aus der Gründerzeit. Das gewachsene Einfamilienhausgebiet Märchenviertel macht seinem Namen Ehre. An anderer Stelle offenbart sich indes ein dermaßen wüster Mix aus Gewerbehöfen, Ladenzeilen und 70er-Jahre-Wohnbauten, als habe sich ein Anfänger bei der Städtebausimulation Sim City irgendwie verklickt.

Von 1907 an konnten die Schnelsener mit der legendären Straßenbahnlinie 2 über Niendorf und Lokstedt bis zum Rathausmarkt fahren. Die Endstation war bis 1978, als die von vielen Menschen heiß geliebte Linie 2 eingestellt und durch Busse ersetzt wurde, an der Wählingsallee.

Auf dem Areal der ehemaligen Straßenbahnkehre, markiert durch die Kneipe Endstation, findet ein kleiner, aber feiner Wochenmarkt statt. Daneben wurde 1990 das Freizeitzentrum Schnelsen eingeweiht. Dort haben die Dixieland-Jazzer Schnelsen StomperS ihre musikalische Heimat; dort feierte das Comedy-Duo "Bader-Ehnert-Kommando" (Kristian Bader/Michael Ehnert) erste Erfolge.

1927 schlossen sich Schnelsen, Niendorf und Lokstedt zu einer Großgemeinde zusammen. Und erst am 1. April 1937 wurden die Schnelsener Hamburger: Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz wurde der Ort aus dem Kreis Pinneberg gelöst und der Hansestadt zugeschlagen.

Krankenhaus größter Arbeitgeber

Spätestens seit 1968 brummt es richtig in Schnelsen. Nach dreijähriger Bauzeit wurde die Autobahn 7 bis Schnelsen-Nord in Betrieb genommen - mit dem dörflichen Charakter war es endgültig vorbei. Noch immer aber sagen echte Schnelsener, dass sie "ins Dorf" fahren, wenn es zum Einkauf an die Frohmestraße geht. Mag auch dort der Verkehr am Sonnabend nervig sein, so kommen die Menschen doch gerne ins "Herz von Schnelsen". So heißt auch die Interessengemeinschaft von Bürgern und Kaufleuten. Der größte Umsatz wird allerdings gut einen Kilometer nördlich gemacht. Dort prangt für jedermann weithin sichtbar und beinahe wie ein heimliches Wappen das Logo des schwedischen Möbelhauses Ikea. 600 Mitarbeiter sorgen dafür, dass am Wunderbrunnen die Einnahmen des Möbelriesen sprudeln.

Der größte Arbeitgeber des Stadtteils aber ist Ikea nicht. Auch nicht das nahe gelegene ModeCentrum, das 1974 eröffnet wurde und in dem annähernd 1200 Menschen arbeiten. Mehr als 1200 Kollektionen werden per annum den gut 100 000 Fachbesuchern präsentiert. Die Schnelsener haben ja noch "ihr" Krankenhaus, kurz das Albertinen genannt. Im Krankenhaus des Albertinen-Diakoniewerks an der Süntelstraße, im Jahr 1964 mit 210 Patientenbetten eröffnet, sowie im Albertinen-Haus arbeiten 1850 Menschen. Die Klinik hat mittlerweile mehr als 600 Betten und versorgt jährlich mehr als 60 000 Patienten in ambulanter und stationärer Behandlung.

Pro Jahr mindestens 2000 Geburten

Das Albertinen ist "die" Geburtsklinik nicht nur für die Schnelsener, sondern für den ganzen Westen: Jährlich erblicken hier mehr als 2000 Hamburger und Schleswig-Holsteiner das Licht der Welt. Der Neu- und Ausbau des Klinikums ist Schnelsens größte Baustelle und Zukunftsinvestition: Das Krankenhaus erhält einen hochmodernen Funktionstrakt mit OP- und Intensivbereich, Frauen- und Geburtsklinik, Diagnostikzentrum, Notfallaufnahme und neuem Aufnahmezentrum. Die Kosten betragen mehr als 75 Millionen Euro.

Generell ist Schnelsen kein Stadtteil, mit dessen Namen seine Bewohner angeben könnten, als zählte er zu Hamburgs In-Ecken.

Es ist vielmehr so, als habe Herbert Grönemeyer einst nicht über Bochum, sondern tatsächlich über Schnelsen gesungen: "Du liebst dich ohne Schminke, bist 'ne ehrliche Haut, leider total verbaut ..."

In der nächsten Folge am 14.7.: Eppendorf

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