Bewohner eines Mehrfamilienhauses am Grandweg in Lokstedt sind besorgt. Auch etliche Schulen und Kitas betroffen. Die gefährlichen Keime entwickeln sich in heißem Wasserdampf.

Hamburg. Die brisante Information findet sich auf einem unscheinbaren Aushang im Treppenhaus. „Es liegt eine hohe Kontamination an Legionellen vor“, ist unter der Überschrift Ergebnis der Trinkwasseruntersuchung Nr. B-131220GB03 vermerkt. Daneben prangt ein roter Punkt, ähnlich wie bei einer Ampel soll das wohl Stopp bedeuten. „Ich habe den Zettel überhaupt nicht wahrgenommen“, sagt Manuela Vassighi, die mit Ehemann Payam und Tochter Sophia am Grandweg in Lokstedt lebt. Erst vor einigen Tagen habe ein Nachbar sie darauf aufmerksam gemacht. „Jetzt mache ich mir große Sorgen“, sagt die 33-Jährige. Nach einer Internetrecherche war für sie klar: Durch den Bakterienbefall lauert Gefahr im Leitungsnetz ihrer Wohnung, vor allem für die 14 Monate alte Sophia. Lange Duschen gibt es bei den Vassighis seitdem nicht mehr, auch das abendliche Babybad wurde eingeschränkt.

Denn die gesundheitsgefährdenden Keime entwickeln sich in heißem Wasserdampf. Gelangen Legionellen in die Atemwege, kann es zu Husten, Fieber, Durchfall bis hin zu schweren Lungenentzündungen kommen, der sogenannten Legionellose oder Legionärskrankheit, die im schlimmsten Fall zum Tod führt. Dabei kommt das Wasser in der Regel in bester Qualität aus den Wasserwerken, verunreinigt wird es auf den letzten Metern: in den hauseigenen Installationen bei Wassertemperaturen unter 45 Grad. Die deutsche Trinkwasserverordnung schreibt deshalb vor, dass Warmwasseranlagen regelmäßig auf Legionellen untersucht werden müssen. Das gilt seit Dezember 2012 nicht nur für öffentliche Gebäude, sondern auch für Mehrfamilienhäuser. Bis Ende 2013 musste die erste Untersuchung durchgeführt worden sein.

In Hamburg wurden bis zum Stichtag bei den Gesundheitsämtern 662 Grenzwertüberschreitungen in Wohnanlagen angezeigt. Das ergab eine Senatsantwort auf eine Schriftliche Kleine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Im Bezirk Mitte gab es danach mit 156 Fällen die meisten Fälle, es folgen Altona (142), Wandsbek (120), Nord (116), Eimsbüttel (77), Bergedorf ( 30) und Harburg (21). In öffentlichen Einrichtungen wurden 96 Grenzüberschreitungen gemessen, betroffen waren unter anderem auch 32 Schulen, 23 Kitas, 14 Krankenhäuser, sechs Seniorenheime und ein Schwimmbad. „Der Legionellen-Befall von gewerblichen und öffentlichen Großanlagen für Trinkwasser hat in Hamburg erschreckende Ausmaße erreicht“, kritisiert Dennis Thering, CDU-Verbraucherexperte. Er fordert mehr Kontrollen und ausreichend Personal. Ihm machen vor allem die geplanten Einsparungen in den bezirklichen Gesundheitsämtern Sorgen. „Das gefährdet eine ausreichend hohe Kontrolldichte.“

Die Verunsicherung bei den Betroffenen ist groß. In der Wohnanlage am Grandweg wohnen viele ältere und behinderte Menschen, die wie Babys und Menschen mit geschwächtem Immunsystem besonders gefährdet sind. „Ich habe bei der Verwaltung angerufen, wurde aber nur vertröstet“, schimpft Axel Fidelak. Der Musiker hatte zuvor bereits mehrfach die niedrige Warmwassertemperatur moniert, jetzt sagt er: „Das Legionellen-Problem hängt damit zusammen. Das ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen darf.“ Es könnte um eine ernsthafte Gesundheitsgefährdung gehen.

Man habe alle Schritte entsprechend der Vorschriften eingeleitet, heißt es dagegen bei der Grundstücksverwaltung Wentzel Dr., die das Objekt mit insgesamt 230 Eigentumswohnungen verwaltet. Dazu gehöre, dass ein Aushang angebracht worden sei. „Auch das Gesundheitsamt wurde informiert“, sagt Sprecherin Susanne Zöllner. Nach ihren Angaben lagen die Messwerte in einigen Fällen um bis zum Sechsfachen über dem Grenzwert von 100 KbE (Kolonien bildende Einheiten) pro 100 Milliliter. Als erste Maßnahme wurde inzwischen die Temperatur in der Warmwasseranlage des betroffenen Objekts einmal auf 60 Grad hochgefahren, um die gefährlichen Keime abzutöten. „Das wird jetzt erneut überprüft, danach werden die Bewohner über das Ergebnis informiert“, so Zöllner. Laut Gesundheitsbehörde können niedrige bis mittlere Kontamination von bis zu 1000 KbE in den allermeisten Fällen durch technische Maßnahmen (Temperaturanhebung, Isolierung) beheben. Grenzwertüberschreitungen würden in fünf bis zehn Prozent aller Untersuchungen festgestellt. Eine größere Gesundheitsgefahr wird erst bei Werten von mehr als 10.000 Legionellen pro Milliliter angenommen. In diesen Fällen würde ein Duschverbot und der Einbau von Filtern empfohlen. „In den aktuellen Meldungen gab es keinen Fall, in dem im größeren Umfang ein Duschverbot verhängt wurde“, so Behördensprecher Rico Schmidt. Die konkrete Gefährdung hänge auch vom Gesundheitszustand der Betroffenen ab.

Brisante Fälle von Legionellen-Befall gibt es immer wieder: Im nordrhein-westfälischen Warstein erkrankten vor einen halben Jahr 165 Menschen an der Legionellose. Drei Patienten starben. Die Behörden suchen immer noch nach der Brutstätte der Bakterien. Das Robert-Koch-Institut meldete für das Jahr 2012 die Rekordzahl von 654 Erkrankungen. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde gab es in Hamburg 15 Fälle. Experten schätzen, dass die tatsächliche Zahl bis zu 50-mal höher liegt.

Den Bewohnern im Lokstedter Grandweg bleibt nur abzuwarten. Manuela Vassighi sagt: „Am schlimmsten ist, dass wir nicht vernünftig informiert wurden.“ Sie hat einen Termin beim Kinderarzt gemacht. Sophia hat seit zwei Monaten starken Husten, der einfach nicht weggehen will.