Billwerder. Auf dem Gleisdreieck in Billwerder soll bis Ende 2016 ein neuer Stadtteil entstehen. Dort sollen ausschließlich Flüchtlinge einziehen – etwa 4000 Menschen. Dies erhitzt die Gemüter.
Zu einem Infoabend mit Dr. Rembert Vaerst (fördern & wohnen), Bezirksamtsleiter Arne Dornquast, Matthias Kock (Staatsrat für Stadtentwicklung und Wohnen) sowie Rainer Köker (Schulbehörde) im Zeighaus am Ladenbeker Weg 13 kamen knapp 400 Interessierte, vor allem Menschen aus Billwerder. Während der vierstündigen Diskussion wurde schnell deutlich: Sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen.
„Wir wollen Flüchtlingen mit Bleibeperspektive eine gute Unterbringung und schnelle Integration ermöglichen“, sagte Dr. Dorothee Stapelfeldt, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, gestern auf einer Pressekonferenz zu den neuen, großen Flüchtlingsunterkünften. In allen sieben Hamburger Bezirken sollen bis Ende kommenden Jahres acht Hektar große Flächen mit bis zu 800 Wohneinheiten bebaut werden. In jedem der neuen Stadtteile sollen bis zu 15 Jahre lang etwa 4000 Flüchtlinge leben.
Dass dort Integration möglich ist, mochte kaum einer glauben
Dass in einem reinen Flüchtlingsstadtteil Integration möglich ist, mochte kaum einer der Besucher des Infoabends glauben. „Das ist Isolation, nicht Integration“, rief eine Frau und erntete viel Applaus. „So etwas muss doch sorgfältig geplant werden“, meinte ein anderer. Eine Billstedterin berichtete von einer Unterkunft für 600 Menschen in ihrer Nachbarschaft: „Dort funktioniert Integration seit 20 Jahren nicht – und sie wollen Tausende Menschen zusammen unterbringen.“
Empört waren die Anwohner aus Billwerder auch, weil sie vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Stephan Jersch (Die Linke) sprach von einem „Schnellschuss“. Er vermisse ein Konzept. „Oder wird erst geplant und dann ein Konzept geschrieben?“ Kock verwies auf die hohe Qualität der geplanten Häuser, die später als Sozialwohnungen auch an Deutsche vermietet werden sollen: „Wir bauen für 100 Jahre.“
Für die Besucher wirkte der Auftritt der Verantwortlichen auf dem Podium wie eine Farce – und das quittierten sie mit Buh-Rufen und Gelächter. Die Bergedorfer blicken mit großer Sorge auf das Mammut-Projekt vor ihrer Haustür. Das Schnellverfahren hebelt sonst übliche baurechtliche Verfahren und die Beteiligung der Bürger weitgehend aus.
Von Anfang an werde an die nötige Infrastruktur gedacht
Die Redner auf dem Podest bemühten sich, dem Vorhaben positive Seiten abzugewinnen: Der Stadtteil entstehe in „sehr guter städtebaulicher Qualität“ und werde trotz „Unterbringungsdruck“ mit „besonderer Sorgfalt“ belegt, betonte Kock. Von Anfang an werde an die nötige Infrastruktur – von der Schulbildung über Kitas bis zur ärztlichen Versorgung – gedacht.
Kock sprach von einer „Bereicherung“ für den Bezirk. Worin die liege, erläuterte er erst auf Nachfrage: „Das wird ein buntes Quartier mit Menschen im ersten Arbeitsmarkt. Wenn Zuwanderung richtig gesteuert und gemanagt wird, ist sie auch eine Chance.“
Für die Zerstörung von Naturschutz-Biotopen werde es Ausgleichsmaßnahmen geben, vermutlich in Allermöhe, Harburg oder Volksdorf.
Das Baurecht lässt nur eine Belegung durch Flüchtlinge zu
Warum die Wohnungen nicht auch Hamburgern zugänglich sein sollen, die verzweifelt eine Bleibe suchen, wollte ein Besucher wissen. Das Baurecht lasse eine solche Belegung nicht zu. Dieses Projekt dürfe zudem nicht gegen den regulären Wohnungsbau ausgespielt werden, meinte Dornquast. „Der Wohnungsbau für Menschen, die hier bereits leben, hat Priorität“, sagte der Bezirksamtsleiter. Der Senat schaffe seit 2011 jährlich „6000 neue Wohnungen plus X“. Doch der „Flüchtlingsstrom biblischen Ausmaßes“ erfordere zusätzlich den Bau von Flüchtlingsunterkünften. Dornquast: „Wir denken größer als in der Vergangenheit.“
Eine Besucherin entgegnete, dass „Gettoisierung nicht der Integration dient. Das wissen wir seit den 70er-Jahren“. Sie prophezeite „unmögliche Bedingungen für Ehrenamtliche“. Robert Gruber, Mitglied im Bauausschuss, hält die Integration von 4000 Menschen in ihrem eigenen Stadtteil für „nicht mehr möglich“. Als Gruber ein sofortiges Umdenken forderte, gab es kräftigen Applaus. Für eine kleinteilige Unterbringung reiche die Zeit nicht, entgegnete Dornquast.
Auch „Wohngemeinschaften alleinstehender Männer“ ziehen ein
Vaerst verriet einige Details: In Billwerder sollen Ein- bis Vier-Zimmer-Wohnungen in vier- bis sechsgeschossigen Häusern entstehen. „In der Regel werden zwei Menschen pro Zimmer untergebracht.“ Vaerst weiter: „Wohngemeinschaften alleinstehender Männer“ sollen ebenso in den neuen Stadtteil einziehen wie Familien oder alleinerziehende Mütter. Auf 80 Flüchtlinge komme ein Sozialarbeiter, „der beste Schlüssel in Deutschland“, entgegnete Vaerst auf empörte Zwischenrufe. Auch die Nationalitäten würden vermischt. „Das funktioniert am besten“, sagte Vaerst. Das Bezirksamt werde vermutlich eine Außenstelle in dem Stadtteil einrichten, ergänzte Dornquast. Zudem regte er an, dass die Bezirksversammmlung einen Sonderauschuss für die Entwicklung des neuen Stadtteils bilden könne.
Als Dennis Gladiator (CDU) zu fortgeschrittener Stunde fragte, warum ständig von 3000 Flüchtlingen die Rede sei, obwohl die Stadtentwicklungsbehörde inzwischen von 4000 spreche, ging ein Raunen durch den Saal. Dann zögerlich die Bestätigung vom Podest: „Es gibt keinen festen Plan“, bestätigte Staatsrat Kock. Es könnten durchaus deutlich mehr als 3000 werden. „Wir haben einen enormen Unterbringungsdruck, dem wir sehr schnell gerecht werden müssen.“
Es gebe „verschiedene Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen“, sagte Kock. „Die Menschen weiter in Baumärkten unterzubringen wäre eine sauschlechte Lösung.“ Wer eine bessere Lösung habe, solle sich bei ihm melden. Ein Besucher meinte, er „vermisse seit Jahrzehnten die langfristige Planung der Stadt“ – und erntete viel Applaus.
Nur der erste Schritt am Mittleren Landweg
Denn die Flüchtlingswohnungen sind offenbar nur der erste Schritt bei einer weiteren Entwicklung des Bereichs um den Mittleren Landweg. „Wenn wir nun einen Stein ins Wasser werfen, soll das auch im Umkreis Wellen schlagen“, sagte Dornquast und bestätigte, dass der Bezirk beauftragt sei, auch die weitere Entwicklung zu prüfen. Mit einer Stadtwerkstatt sollen dann die Bürger beteiligt werden.
So habe die Deutsche Bahn signalisiert, dass sie bereit wäre, derzeit von Kleingärten genutzte Flächen freizugeben. Die Anwohner reagierten wütend: „Wenn wir nicht zufällig die richtigen Fragen stellen, erfahren wir hier gar nichts.“ Sie warfen Stadt und Bezirk eine „unehrliche Salamitaktik“ vor – wie schon bei den Belegungszahlen der Wohnungen.
Am Ende, nach vierstündiger Diskussion, versprach Dornquast den noch etwa 130 Anwesenden daher mehr Transparenz. Die Bürger sollen auch im Internet über das Voranschreiten des Projektes informiert werden.
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