Von Beate Hagen

Bergedorf.
Vermutlich ist sie bislang unbeachtet geblieben, weil man ihr keine Bedeutung zumessen konnte. Doch wer die typischen Trachtenhüte der Vierländerinnen kennt, und sich das Originalmanuskript der Tagebücher von Hans Christian Andersen einmal genau anschaut, wird zwischen den Zeilen eine kleine Strichzeichnung von einer Frau mit eben einem solchen Hut entdecken. Die kleine Vierländerin hat der dänische Dichter und Märchenerzähler 1831 auf seiner Reise in die Vierlande gezeichnet - und sich köstlich über das Aussehen der Hüte amüsiert.

Gleich zwei Daten aus dem Leben von Hans Christian Andersen runden sich in diesem Jahr: Vor 210 Jahren wurde der dänische Dichter und Märchenerzähler geboren, vor 140 Jahre starb er. Dass er auf seiner ersten Auslandsreise auch die Vierlande besucht und darüber Notizen in seinem Reisetagbuch gemacht hat, ist wenig bekannt.

"Nun waren wir in den Vierlanden. Alles um uns herum war ein großer Gemüsegarten. Dicht am Wege lagen zierliche Häuser, an einzelnen waren die kleinen Fensterscheiben mit Glasmalerei verziert." Diese Zeilen schrieb ein junger Mann in seine Reiseerinnerungen, der im Frühsommer vor 184 Jahren durch die Vierlande fuhr. Dieser junge Mann war für seine Zeit außergewöhnlich groß, sehr hager, kam aus Dänemark und sollte später einmal ein weltberühmter Dichter und Märchenerzähler werden. Es war Hans Christian Andersen.

Am 16. Mai 1831 war er von Kopenhagen aus in Richtung Deutschland aufgebrochen. Er wollte schnell weg aus Kopenhagen, denn die Literaturkritiker in der dänischen Hauptstadt hatten seine ersten Werke zerrissen, und - was fast noch schlimmer war - er war unglücklich verliebt. Es war die erste von insgesamt mehr als 40 Reisen, die den Dichter kreuz und quer durch ganz Europa führten. Am Ende seines Lebens gehörte Andersen zu den am weitesten gereisten Menschen seiner Zeit. "Reisen heißt Leben" war sein Lebensmotto. Immer mit dabei: sein Reisetagebuch, in das er penibel alles notierte und zeichnete, was er erlebte und sah.

Im Frühsommer 1831 interessierte den 26-Jährigen vor allem der Harz, der in dieser Zeit Hochkonjunktur hatte. Goethe, Eichendorff, Heine - sie alle hatten das norddeutsche Mittelgebirge durchwandert und ausführlich darüber geschrieben. Mit dem Schiff fuhr Andersen von Kopenhagen nach Lübeck und von dort mit der Kutsche über Hamburg-Stadt nach Bergedorf, "einer kleinen Stadt an der Bille", wie er in seinem Tagebuch notierte. Dann ging es weiter durch die Vierlande in Richtung Süden.

Von der Kutsche aus betrachtete er die Landschaft und schrieb - begeistert von dem vielen Grün - in sein Tagebuch: "Die Vierlande sahen aus wie ein ungeheuer großer Garten, die Kirschbäume hatten schon Beeren angesetzt und überall blühte es." Er entdeckte "Mädchen und Jungen mit klugen Augen", die neben dem Wagen herliefen, und Blumensträuße und Kränze verkauften. Schon in Hamburg, in einem Bekleidungsgeschäft, hatte sich Andersen über die Hüte der Vierländerinnen amüsiert und in sein Tagebuch notiert: "Es ist lustig, die Kleidung der Vierländerinnen anzusehen. Sie haben Strohhüte auf, die aussehen wie Bottiche". Und dann griff er zum Bleistift und verewigte mit einer kleinen, schnellen Strichzeichnung zwischen den Zeilen den typisch Vierländer Trachtenhut, auf dem Kopf einer Frau.

Grün, saftig, fruchtbar und glücklich - so erlebte der junge Dichter die Vierlande. In seinen Reiseerinnerungen "Schattenbilder einer Reise in den Harz", das 1831 in Kopenhagen herauskam, nimmt er dieses Erlebnis zum Anlass, um über das Leben zu philosophieren: Eine Reise von den Vierlanden in die Lüneburger Heide sei doch ein "Bild von dem ganzen menschlichen Leben", heißt es darin. "Die fruchtbare, grüne Natur hier kam mir vor wie die glückliche, lebensfrische Jugendwelt, wo auch überall Kirschen und Pflaumen, große Feuerbohnen und bunte Blumen wachsen. Aber kaum sind wir aus diesem glücklichen Lande herausgekommen, über den Elbstrom der Wirklichkeit, da liegt des Lebens große Lüneburger Heide vor uns."

Bei Zollenspieker setzte Andersen über die Elbe und erreichte spät in der Nacht "die wunderliche, alte Stadt" Lüneburg. Von dort ging es weiter nach Berlin. Am 24. Juni 1831 kehrte er wieder nach Kopenhagen zurück, mit einem Reisetagebuch voller Notizen und Zeichnungen.