Von Wiebke Schwirten

Curslack.
Ein Stich ist schlicht, viele im Zusammenhang sind prächtig: Vierländer Stickerei fasziniert. Doch die Kunst, Kreuzstiche zu bedeutungsvollen Motiven zu fügen, gerät immer mehr in Vergessenheit. Höchste Zeit also, das Thema zu ergründen. "Sticken mit Leib und Seele" nennt Andrea Madadi ihr umfangreiches Projekt, mit dem sie dem Kreuzstich auf die Spur kommen will.

"In jedes Teil, das wir kreativ-gestaltend herstellen, fließen unser Körper, Geist und Seele ein", erklärt Andrea Madadi zum Motto. Jede Stickerin hinterlasse biografische Spuren, bewusst oder unbewusst - je nachdem, wie Motive ausgewählt, Kreuzstiche angeordnet werden.

Seit dem Handarbeitstag 2013 arbeitet Andrea Madadi an der Dokumentation und der künstlerischen Umsetzung des Themas, das 2017 die Jahresausstellung im Rieck-Haus werden soll. Die Initialzündung gab Dr. Schanett Riller, Leiterin der Museumslandschaft, bei der 3. Bergedorfer Kunstschau. Denn sie stellte in Aussicht, Räume für Künstler zur Verfügung zu stellen, die sich mit der Geschichte und Kultur in Bergedorf und den Vier- und Marschlanden auseinandersetzen. "Ich möchte zeigen, dass Vierländer Stickerei nicht nur schön, dekorativ und traditionell ist, sondern dass sie auch eine tiefe Bedeutung in sich trägt", erklärt die Künstlerin aus Curslack. Zudem geht es um die heutige Bedeutung: Was sagen uns die Motive, die wir auf Trachten, Kissen oder Decken sehen? Wie entwickeln sich neue Muster?

Aktuell hat sie einen wahren Handarbeitshype ausgemacht: "Im Internet finden sich zahlreiche Stickforen, in denen über Monate hinweg Vierländer Mustertücher gestickt werden. Doch warum werden die alten Motive aus dem 16. Jahrhundert gestickt? Wie würden Mustertücher mit Motiven unserer Zeit aussehen?", fragt Andrea Madadi. In vielen Vierländer Motiven finden sich Rosette, Kreuz und Raute für Vollkommenheit, Errettung der Menschheit und Geburt. Gelten die Bedeutungen noch heute? Was bedeutet LNLT auf einem Mustertuch? Dahinter verbirgt sich der Name der Stickerin, etwa Lena Lütten. Früher wurden Namen oftmals mit den Anfangsbuchstaben der Silben abgekürzt. Manches hat sich weit vom Ursprung entfernt. So wurden im Laufe der Jahrhunderte aus Todesengeln, die einen Sarg trugen und nur auf Leichentücher gestickt wurden, reine Ornamente, die schließlich sogar auf gestickten Geburtstagskarten zu sehen sind.

Andrea Madadi interviewt Fachfrauen wie Marianne Neben und Hilde Krützmann, die viele der Kirchwerder Kirchenkissen bestickt haben. Bei ihnen hat sie auch eigene Stickerfahrungen gemacht. Außerdem setzt sie den Kreuzstich mit anderen künstlerischen Mitteln um. So kreiert sie 100 kleine Leinwände mit stilisierten Kreuzstichen, mit denen Besucher der Ausstellung selbst (Vierländer) Motive legen können. Fotograf Axel Netzband begleitet den Arbeitsprozess, hält auch die Spurensuche in Bildern fest.

"Was für eine unglaubliche Arbeit in den aufwendigen Mustertüchern steckt, eigentlich ja eine Übungsarbeit. Das sind wahre Kunstwerke", sagt Andrea Madadi bewundernd. Wer noch alte Tücher besitzt, ist herzlich aufgefordert, sich bei Andrea Madadi zu melden. Ebenso sucht sie für Interviews Zeitzeuginnen und Menschen, die alte Motive sticken - Telefon (040) 7 20 99 64.