Reetdächer: Jede funkensprühende Rakete ist ein potenzieller Brandstifter

Es vergeht kein Jahreswechsel, an dem Siegfried Harden nicht um sein Haus und das Wohlergehen seiner Lieben bangt. Er wohnt im Zentrum von Neuengamme unter einem Reetdach. Da wird jede funkensprühende Rakete zum potenziellen Brandstifter.

Immer wieder spricht Siegfried Harden böllernde Mitmenschen auf die Gefahr an - doch meistens ohne Erfolg. Mittlerweile favorisiert er eine radikale Lösung: Verbot von Silvesterraketen in Neuengamme, und wenn es sein muss sogar im gesamten Landgebiet.

"In Neuengamme stehen die Reetdachhäuser dicht an dich. Zwar ist es verboten, im Umkreis von 200 Metern eines Reetdachhauses Feuerwerkskörper abzubrennen. Das stört in Neuengamme aber kaum jemanden. In der Feldstegel wurden Raketen abgeschossen, die über unserem Haus explodiert sind. Da ging ein wahrer Funkenregen nieder", berichtet Siegfried Harden. Nur die Feuchtigkeit des Daches habe ein Abbrennen verhindert. Er habe schon Polizei, Feuerwehr und Politik angesprochen, doch niemand fühle sich zuständig: "Man möchte ja kein Spaßverderber sein." Dabei sei die nächste Gefahr schon vor dem nächsten Silvester programmiert: wenn bei den Osterfeuern wieder die Funken fliegen.

Bei Vertretern der großen Parteien, Erika Garbers (CDU) und Heinz Jarchow (SPD), stößt das Thema aber durchaus auf Interesse. Beide wollen die Problematik in den Fraktionen thematisieren. Ob ein Böllerverbot der richtige Weg wäre, mögen beide nicht bejahen. "Doch wir wollen ja die Kulturlandschaft erhalten, und da gehören die Reetdachhäuser unbedingt dazu", sagt Erika Garbers. Ihr besonderer Schutz und Erhalt müsse auch im Interesse der lokalen Politik sein.

Auf Inseln wie Sylt und in Orten wie Warendorf (Münster), im bayerischen Kitzingen oder in der Augsburger Innenstadt gelten bereits Böllerverbote. Allerdings muss auch dort wesentlich auf die Einsicht der Bürger gesetzt werden, denn Polizei und Ordnungsämter haben nicht genügend Personal, um jeder abgefeuerten Rakete nachgehen zu können.

Bergedorf Polizeichef Karsten Schwarz vom Polizeikommissariat 43 empfiehlt dennoch, Verstöße zu melden: "Wir nehmen solche Anzeigen ernst und gehen ihnen auch nach." Doch die Beweislage ist knifflig. Denn der Anrufer müsste nicht nur angeben können, woher die Rakete kam, sondern am besten auch noch, wer sie abgefeuert hat.

Helmut Hoffman, Leiter des Fachamtes Verbraucherschutz, Gewerbe und Umwelt, erkennt in derartigen Ordnungswidrigkeitenanzeigen auch eine Art Vorbeugung. Verstöße können mit Geldbußen bis zu 50 000 Euro geahndet werden. Jugendliche etwa, die mit Pyrotechnik erwischt werden, die für ihr Alter nicht erlaubt ist, müssen zwar nicht so tief in die Tasche greifen, aber "die Bußen brennen schon im Portemonnaie", versichert Hoffmann. Das bremse Wiederholungen.

Quasi "Schlauch bei Fuß" steht die Freiwillige Feuerwehr Neuengamme in jeder Silvesternacht, "wir sind immer in Bereitschaft", versichert Wehrführer Sven Stahlbuhk. Zwar seien sie im Ernstfall sofort zur Stelle - doch verbotene Raketenstarts können auch sie nicht verhindern.