Erinnerung: Spurensuche führt Ehepaar Burmester zu Soldatenfriedhöfen nach Russland und Polen

Peter Burmester (77) hat seinen Bruder Wilhelm kaum kennenlernen dürfen. Er war noch ein Kind, als der Schulmeister im August 1944 dessen Todesnachricht ins Elternhaus trug. "Wilhelm ist nur 18 Jahre und zehn Tage alt geworden", sagt Peter Burmester und schaut auf ein Foto. Doch es zeigt nicht den Bruder, sondern einen Granitblock.

Der kühle, graue Stein ist einer von 60 mannshohen Stelen, die auf einem Friedhof im russischen Kaliningrad, das im Zweiten Weltkrieg noch Königsberg hieß, an die Gefallenen erinnert. Alphabetisch angeordnet sind die Namen eingraviert. Wilhelm Burmester steht dennoch weit unten, so groß ist die Zahl der Opfer. "Und Opfer waren sie alle, die Russen und Polen genauso wie die deutschen Soldaten", sagt Burmester, der sich wie schon der Vater als Kirchenvorstandsvorsitzender in Ochsenwerder engagiert.

Fast 70 Jahre lang hat er nicht genau gewusst, wo sein Bruder begraben ist. 1944 lag Wilhelm Burmester mit einem Bauchschuss im Königsberger Lazarett, als dies von den Russen angegriffen wurde. Der Schwerstverletzte musste hoch von seinem Krankenbett. Sein Todesurteil. Der Vater reiste noch in die unter Beschuss stehende Stadt, konnte den toten Sohn aber nicht mehr sehen, schaffte es gerade noch mit dem letzten Zug wieder nach Hause. Eine alte Geldbörse des Sohnes ist alles, was er mitbringen konnte.

Letzte Ruhe im anonymen Massengrab? Wie sehr Ungewissheit an der Seele nagen kann, zeigt eine verzweifelte Reaktion von Anna Burmester. Die Mutter des gefallenen Soldaten verbrannte nach dem Krieg plötzlich alle Feldpost der Söhne. Zu schwer lasteten Erinnerung und Ungewissheit auf ihr. Neben Wilhelm war auch Sohn Günther in Warschau gefallen und wurde vermisst, damals gerade 16 Jahre alt. "Kanonenfutter", sagt Peter Burmester, der sich nicht nur am Volkstrauertag daran erinnert, wie unsinnig Kriege sind. Nur der älteste Bruder Hans kam 1945, dreimal schwer verwundet, wieder heim.

Mithilfe von Gisela Harder aus Moorfleet, die den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes und den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge einschaltete, gibt es nun endlich Gewissheit. Es wurde sogar die exakte Grablage ermittelt, in der die sterblichen Überreste von Wilhelm Burmester nach einer Umbettung die letzte Ruhe fanden: Block 15, Reihe 9, Grab 455.

Peter Burmester und seine Frau Marianne haben rote Nelken und weiße Chrysanthemen in der Hand, als sie auf das Holzkreuz zugehen, das die Grabstelle markiert. Gemeinsam mit anderen Hinterbliebenen nutzten sie im Juli eine Busreise des Volksbundes, die über mehr als 2000 Kilometer zu Soldatenfriedhöfen in Polen und Russland führte. Sie legen die Blumen auf das Grab, machen ein Foto von der Granitstele, auf der sie den vertrauten Namen auf Anhieb gefunden haben. Angespannte Ungewissheit weicht innerer Ruhe: "Das dort zu sehen, dort zu stehen und zu wissen: Das ist mein Bruder. Das war schon ergreifend", erzählt Peter Burmester. Er schluckt, lächelt dann und sagt: "Ich bin viel zufriedener, seit ich weiß, wo er jetzt ist."

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist eine humanitäre Organisation, die sich unter anderem um die Pflege von Kriegsgräberstätten im Ausland kümmert und auch Jugend- und Bildungsarbeit leistet. Infos zu Reisen gibt es bei der Bundesgeschäftsstelle in Kassel, Telefon (05 61) 700 91 52 und im Internet: www.volksbund.de.