Bergedorf. Während sich Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gerade einem Grünkohlrausch der Superlative hingeben - mit Kohl-Tourismus, Grünkohl-Akademie und Kohl-Königen -, setzen die Vier- und Marschländer schlicht auf Qualität.

Die liegt neben dem Anbau besonderer Sorten wie "Lerchenzunge" und "Halbhoher grüner Krauser" vor allem in der sorgfältigen Produktion des Grünkohls: Vom Pflanzen übers Ernten bis zum Zubereiten für den Verkauf geht alles über aufwendige Handarbeit.

Wie bei Kurt Ladiges. Für seinen Marktstand schneidet der Gemüsebauer vom Krauel den Grünkohl am Vortag frisch auf dem 3000 Quadratmeter großen Feld. Hier wächst zu einem Drittel "Lerchenzunge", die fein im Blatt ist, aber weniger Ertrag bringt, und zu zwei Dritteln Vierländer Grünkohl - eine alte Hybrid-Sorte mit viel Substanz. Herrschen frostige Temperaturen, heizt Ladiges dem Kohl vor der Weiterverarbeitung erst mal ein: "Die Pflanzen müssen in Ruhe auftauen, sonst bricht die Zellstruktur und die Blätter werden matschig." Nach einem gründlichen Waschgang kommt der wichtigste Teil: Kurt Ladiges bricht zuerst das Herz des Grünkohls heraus. "Es ist der zarteste Teil des Kohls und muss unbedingt mit in den Verkauf", sagt der Gärtner. Dann werden die Blätter vom holzigen Strunk abgestreift (handgestrippt), sauber gezupft und in Ein-Kilo-Beutel verpackt. "Meine penibelste Kundin hatte bei fünf Beuteln Grünkohl nur eine kleine Handvoll Abfall", sagt Ladiges.

Auch Birgit Scharnbergs Kunden wissen es zu schätzen, wenn der Grünkohl gut gewaschen und fein gezupft aus der Tüte kommt. Die Gemüsebäuerin aus Curslack zieht Grünkohl auf 3000 Quadratmetern im integrierten Anbau für den Verkauf auf den Wochenmärkten in Bergedorf und Lohbrügge. "Bei Massenproduktionen wie in Niedersachsen wird die gesamte Grünkohl-Pflanze in Häckselmaschinen zerkleinert", sagt sie. "Das würden meine Kunden zurückbringen."

Mit einer Anbaufläche für Grünkohl von 407 Hektar steht Niedersachsen hinter Nordrhein-Westfalen (438 Hektar) an der Spitze der Grünkohlproduzenten in Deutschland. Mit nur 29 Hektar liegt Schleswig-Holstein auf Platz drei der Anbauriesen. Insgesamt werden in Deutschland mehr als 16 000 Tonnen Grünkohl pro Jahr geerntet (Saison 2010/2011).

Trotz hoher Qualität wird der Grünkohlanbau in den Vier- und Marschlanden immer stärker ins Nischendasein gedrängt. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Zum einen schließen immer mehr Betriebe, zum anderen lohnt sich der arbeitsintensive Anbau auf den kleinen Flächen nicht immer. Die Vierländer Bio-Gärtnerei Behncken ist hier eine seltene Ausnahme. Der Biolandbetrieb verkauft seine geschmackvolle Grünkohlsorte "Halbhoher Grüner Krauser" nicht nur im Hofladen am Süderquerweg und auf Wochenmärkten, sondern auch in kleinen Mengen auf dem Hamburger Großmarkt. Einen weiteren Grund für den Grünkohlschwund in der Region sieht Birgit Scharnberg im gesellschaftlichen Wandel: "Vor 20 Jahren wurde Grünkohl nur in den Familien gekocht. Heute ist es ein Kult-Essen in vielen Restaurants." Die wiederum kaufen Grünkohl günstiger auf dem Großmarkt oder werden von großen norddeutschen Betrieben beliefert.