Kirchwerder. Heinz Scheurer ist mit Leib und Seele Kaufmann, ein Dienstleister par excellence: aufmerksam, hilfsbereit, zuverlässig, liebenswürdig - und pragmatisch.

Als Hermann vom Wrauster Bogen, der gerade Strohwitwer ist, ihn nach Kaffeepads fragt, antwortet Heinz: "Nein, Hermann, tut mir leid, hab' ich nicht." "Und was soll ich dann trinken?" "Tee", antwortet Heinz, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Hermann gibt sich geschlagen. Da er Heinz aber schon Jahrzehnte kennt, weiß er: Beim nächsten Mal kriegt er seine Kaffeepads. Denn der Kaufmann ist unter anderem aufmerksam und zuverlässig.

Der 61-Jährige lenkt den letzten rollenden Lebensmittelladen durchs Landgebiet - fünf Tage in der Woche. In seinem Mercedes - eine Spezialanfertigung der Firma Borco-Höhns aus Rotenburg (Wümme) - finden zwischen 1000 und 1500 unterschiedliche Artikel Platz. Der Verkaufswagen, den Heinz Scheurer 1993 für 120 000 Mark kaufte - mutet wie ein Supermarkt en miniature an. Ganz hinten im Heck die Frische-Abteilung mit dem Kühlregal: Hier finden die Kunden vor allem Milchprodukte, aber auch Wurst. Links und rechts des schmalen Mittelgangs ragen die Regale bis zur Decke. Sie tragen alles, was Menschen für ihr tägliches Leben brauchen. Eier, frisches Obst und Gemüse, Brot, Kekse, Süßigkeiten, Marmeladen, Honig, Suppen, Konserven, Getränke, Nudeln und, und, und. Nicht zu vergessen die Seifen- und Kosmetikabteilung, in der auch so gut wie nichts fehlt. Hier findet der Kunde auch Glühbirnen, Batterien, Feuerzeuge und Co.

Und was er nicht auf den ersten Blick entdeckt, das zaubert Heinz Scheurer ans Tageslicht. Der kennt sein Sortiment aus dem Effeff, genauso wie seine "paar hundert" Kunden. Kein Wunder, ist er doch seit 1965 auf Achse. Ein Großteil der Kundschaft kennt auch noch seinen Vater und Großvater, der das Familienunternehmen gründete.

Otto Kaakschlief und seine Frau Meta betrieben ein Lebensmittelgeschäft in Rothenburgsort. Als ihnen ein Haus mit kleinem Laden am Warwischer Hinterdeich angeboten wurde, griffen sie zu und zogen Anfang 1939 um. Meta kümmerte sich ums Geschäft, Otto sammelte bei den Bauern die Milch ein, die dafür Butter und Käse erhielten. Ihre Tochter Emmi heiratete 1947 Hermann Scheurer aus dem Taunus. Zwei Jahre später kam ihr Sohn Heinz auf die Welt. Von 1965 bis 1968 absolvierte er in dem großväterlichen Betrieb eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann.

In den Folgejahren besaß die Familie drei Verkaufswagen. Jeder der drei Männer war mit einem unterwegs. Nach Ottos Tod im Jahr 1972 führte Hermann zusammen mit seiner Schwiegermutter die Geschäfte. Als sie 1979 verstarb, stieg Heinz mit ein und übernahm fünf Jahre später den Betrieb ganz. Zu dem Zeitpunkt hatte auch er schon eine Familie. Seine Frau Bettina schenkte ihm zwei Töchter und kümmerte sich um das Ladengeschäft - bis 2005, als ihr krankes Herz sie zum Aufgeben zwang.

Seitdem fährt Heinz Scheurer mit seinem rollenden Supermarkt auch bei den ehemaligen Ladenkunden vor. "Wir haben die Touren so umstrukturiert, dass sie nicht auf der Strecke bleiben", sagt er. Dienstags und sonnabends fährt der Kaufmann den Ochsenwerder Elbdeich ab, hat dort etwa 30 feste Haltestellen. "Sie sind wichtig, genauso wie die festen Uhrzeiten." Montags, mittwochs und freitags ist er im Großraum Kirchwerder unterwegs, dann können die ersten Kunden am Süderquerweg um kurz nach 8 Uhr mit ihm rechnen.

Er kennt sie alle mit Vornamen, duzt sie und weiß, wenn der weiße Büdel an der Tür hängt, oder der Korb an der Straße steht, dass er halten muss. "Gärtner, die auf dem Feld sind, können nicht auf mich warten", sagt Scheurer. In diesem Fall arbeitet er die Einkaufsliste ab und stellt die Waren so, "dass sie nicht gleich jeder sieht".

Gegen 14 Uhr macht Heinz Scheurer Feierabend. Zu Hause lässt er sich erst einmal ein belegtes Brot schmecken. Denn zum Frühstück gab's nur einen Toast und unterwegs einen Apfel oder eine Banane. "Abends essen wir dann warm", sagt der drahtige 61-Jährige. Nicht selten greift er sich anschließend noch die dicken Edeka-Ordner, die das komplette Warensortiment enthalten, und schaut, was er für die Lieferung am Montag oder Donnerstag bestellen muss. "Viel Arbeit", sagt er, "aber ich mach' sie gern."

Noch. Denn mit 65 soll Schluss sein. Und dann? "Dann muss ich mir wohl etwas anderes suchen - als Ausgleich", sagt Heinz Scheurer.