Curslack. Mit einem Helfer, der gefordert ist, wenn andere wegschauen, beginnen wir heute die Vorstellung der Kandidaten für den Bürgerpreis 2008. Der von Volksbank Stormarn und Bergedorfer Zeitung ausgelobte und mit 4000 Euro dotierte Preis wird bereits zum neunten Mal vergeben.

Er soll Menschen in den Fokus rücken, die sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich engagieren, damit vielen helfen - in der Bewältigung ihres Alltags oder bei Schicksalsschlägen: Ein solcher Mann ist Malte Stüben.

Der kleine Julian wurde nicht einmal ein Jahr alt. Der elf Monate alte Junge ertrank in einem flachen Gartenteich. Vier Jahre liegt dieses Unglück zurück. Und doch erinnert sich Corinna Stüben (30) aus Curslack daran, als sei es gestern gewesen.

Die 30-Jährige war damals im Kriseninterventionsteam (KIT) des Deutschen Roten Kreuzes im Einsatz. KIT kommt, wenn Menschen in Extremsituationen Hilfe brauchen. So wie an diesem Tag im August, als Julian ertrank.

Die Welt war für die Mutter und die beiden Brüder von einer Sekunde zur anderen völlig aus den Fugen geraten. Corinna Stüben erinnert sich noch gut an die beiden Jungen, neun und zwölf Jahre alt, die es einfach nicht aushalten konnten, ihren Bruder so nass daliegen zu sehen. "Es war ihr großer Wunsch, dem Kleinen trockene Sachen anziehen zu dürfen", erzählt Corinna Stüben. Und so haben sie es gemeinsam getan. War das nicht absurd und völlig unwichtig? "Nein", sagt Corinna Stüben, "die Situation stimmte. Die Jungen konnten handeln, wurden aus ihrer Starre erlöst. Das war immens wichtig, um auch alles weitere verarbeiten zu können."

Genau das ist es, was KIT leisten will: Die Menschen nach traumatischen Erlebnissen wieder handlungsfähig machen, sie aus ihrer Schockstarre lösen. "Wir gehen nie, ohne eine Perspektive aufgezeigt zu haben", sagt Malte Stüben (32), der Ehemann von Corinna Stüben. Der Sozialpädagoge ist stellvertretender Leiter des KIT Hamburg und zuständig für die Aus- und Weiterbildung. So wie die anderen 44 Mitglieder ist auch er jeden Monat mindestens zwei Tage rund um die Uhr in Rufbereitschaft. 270 Einsätze absolvierte KIT im vergangenen Jahr in Hamburg, das ist mehr als doppelt soviel wie im Jahr 2003 (107 Einsätze), Tendenz steigend.

Die ehrenamtlich tätigen Helfer werden zumeist von der Polizei oder Feuerwehr, dem Rettungsdienst oder der Rechtsmedizin angefordert. Sie betreuen häufig Angehörige von Selbsttötungsopfern, stehen Eltern bei, die plötzlich ihr Kind verloren haben, versuchen Augenzeugen von Gräueltaten die seelische Belastung zu nehmen, überbringen Todesnachrichten gemeinsam mit der Polizei oder gehen mit Angehörigen den schweren Gang zur Identifizierung eines Toten in der Rechtsmedizin. "Wir versuchen zum Beispiel, gemeinsam mit den Angehörigen, die nächsten Tage zu organisieren. Wir klären, wer für sie da ist und weiter helfen kann", erzählt Malte Stüben.

Es gibt für Mitarbeiter des KIT kein Patentrezept. Sie sind bei jedem Einsatz neu und individuell gefordert. Mancher reagiert auf den plötzlichen Tod eines geliebten Menschen mit Schock und Apathie. "Dann kann es wichtig sein, auch die Stille einfach auszuhalten", sagt Malte Stüben. Andere schreien ohne Unterlass, verneinen die Realität und fallen schließlich den KIT-Mitarbeitern erschöpft in die Arme.

Das ist nicht eben eine stressfreie Freizeitgestaltung. "Aber es ist eine enorm wichtige Aufgabe und man kann mit geringen Mitteln eine immens große Hilfe leisten", erklärt Malte Stüben sein Engagement. Er ist über seinen Berufsweg zu KIT gestoßen. "Ich war Erzieher in einer Schule mit schwerstbehinderten Kindern", erzählt er. Dazu gehörte auch, von sterbenden Kindern Abschied nehmen zu müssen. Damals fiel ihm die Annonce des Hamburger Kriseninterventionsteams ins Auge und interessierte ihn sofort.

Corinna Stüben erzählt von einem eigenen, traumatischen Erlebnis, dem Suizid eines Freundes, als sie selbst noch im jugendlichen Alter war. "Damals gab es wenig qualifizierte Hilfe für mich, mit der Situation fertig zu werden. So etwas wie KIT wäre gut gewesen", sagt Corinna Stüben. Ein guter Grund, später selbst als Krisenhelfer tätig zu werden. Allerdings taugt die KIT-Mitarbeit nicht als Selbsttherapie: "Das eigene Erleben muss schon mindestens zwei Jahre zurückliegen und bereits aufgearbeitet sein, wenn man bei KIT anfangen will", erklärt Corinna Stüben. Derzeit hat sie von KIT eine Auszeit genommen: Töchterchen Merle fordert ihre gesamte Aufmerksamkeit.

Dass das Ehrenamt Corinna und Malte Stüben erfüllt hat, ist beiden anzusehen: Sie wirken beneidenswert aufgeräumt, mit sich im Reinen. "Die Arbeit hat mir vielleicht ein wenig die Leichtigkeit aus dem Leben genommen", sagt Corinna Stüben "aber sie gibt auch viel. Man lernt, seine Werte neu zu ordnen, den Moment mehr zu genießen."

Wer sich beim Kriseninterventionsteam bewerben möchte, kann sich im Internet informieren unter www.kit-hamburg.de oder per Telefon: (040) 766 09 269.