Bergedorf. Ein dumpfer Knall hallt durch die Sporthalle Sander Tannen in Bergedorf. Jedes Mal, wenn Martin Otto, Torwart der TSG Bergedorf Lizards, den kleinen, orangefarbenen Hartgummiball an seine mächtigen Beinschützer bekommt, gibt es dieses Geräusch. Im 2. Bundesliga-Heimspiel der „Eidechsen“ gegen die Oberhausen Miners knallt es fortwährend. Denn es ist eine intensiv geführte Inline-Skaterhockey-Partie, in der beide Teams bedingungslos auf Sieg spielen.
Otto hat einen Glanztag erwischt, wehrt zahllose Bälle ab. Der 1,80-Meter-Mann wirkt in dem kleinen Tor erstaunlich behänd. Immer wieder presst er die Unterschenkel auf den Boden oder fährt die Fanghand aus, um der zischenden, kleinen Kugel den Einschlag im Tornetz zu verwehren. „Die Beinschützer sind leichter, als sie aussehen“, erläutert er hinterher. „Sie bestehen aus einem harten Kunststoff, der mit Leder überzogen ist und von Karbonstangen gestützt wird.“
Inline-Skaterhockey: Torwart guckt nur auf den Ball
Selbst im Duell „Eins-gegen-eins“ mit einem durchgebrochenen Stürmer bleibt Otto Sieger. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass die Lizards bei einer 6:4-Führung im letzten Drittel gegen die favorisierten Gäste an einem Heimsieg schnuppern. Doch es soll nicht sein: Oberhausen nutzt zunächst eine Überzahl, um zu verkürzen, dann lässt Otto einen eigentlich harmlosen Schuss über die Schoner rutschen – 6:6. „Solche Fehler passieren“, sagt er. „Im Spiel hast du keine Zeit, darüber nachzudenken. Hinterher schon.“
Angstfrei müssen Torhüter beim Inline-Skaterhockey sein. Nicht nur wegen der Bälle, die auf sie abgeschossen werden, sondern auch wegen der Spieler, die auf sie zurasen. „Im Spiel beschäftige ich mich kaum mit den Gegenspielern“, erläutert Otto. „Ich schaue nur auf den Ball, gucke was der Stürmer macht. Antizipation spielt eine große Rolle: Legt er ihn sich auf die Rückhand, dann wird es ein eher wilder Schuss, oder auf die Vorhand, dann wird es kontrollierter.“
Inline-Skaterhockey mit vier gegen vier Feldspielern
Bei vier gegen vier Feldspielern – einer weniger als beim Eishockey – kommt immer mal wieder einer frei durch. So auch in dieser Partie. Dummerweise aus Sicht der Bergedorfer ist es ausgerechnet Oberhausens Bester: Felix Kämper. Der 1,95-Meter-Hüne ist der Abwehrchef bei den Miners und eine beeindruckende Persönlichkeit auf dem Feld. Nun hält ihn nichts mehr hinten. Kämper will unbedingt gewinnen. Und so rauscht der Hüne urplötzlich allein auf den bedauernswerten Otto zu, baut kurz vor dem Gehäuse wie eine Primaballerina einen kleinen Schlenker ein und legt den Ball am chancenlosen Keeper vorbei zum 7:6 ins Netz. Niemand ahnt, dass dies acht Minuten vor Schluss bereits die Entscheidung ist. Doch die Lizards können nicht mehr antworten, sie verlieren 6:7.
Hinterher mischen sich beim Schlussmann Stolz über die eigene Leistung mit Frust über den unglücklichen Spielverlauf. „Wir hätten echt gewinnen müssen“, hadert Martin Otto. Doch mit seinen 42 Jahren („Schreib das bloß nicht, dass ich schon 42 bin“) hat er schon viel in dieser rasanten Mannschaftssportart gesehen, die Enttäuschung verfliegt daher schnell. Das Alter ist für Torhüter ohnehin kein großer Faktor. Ottos großes Idol, die schwedische New-York-Rangers-Legende Henrik Lundqvist, wurde mit 35 Weltmeister und stand mit 38 noch auf dem Eis im Madison Square Garden. Wegen Lundqvist hat sich Martin Otto bei den Lizards die Trikot-Nummer 30 ausgesucht, die bei den Rangers nicht mehr vergeben wird, seitdem der Schwede im Jahr 2020 nach 15 Jahren und 887 Partien seine Karriere bei den „Broadway Blueshirts“ beendet hat.
Inline-Skaterhockeyspieler haben weniger Platz als Eishockeyspieler
Im Unterschied zum Eishockey ist beim Inline-Skaterhockey viel weniger Platz. Die Zeit zum Annehmen und Verarbeiten des Balles ist extrem kurz. Zudem verspringt die Kugel schneller als ein Puck, was sowohl Stürmer als auch Torhüter vor Probleme stellt. Der größte Unterschied aber ist das Klima. „Beim Inline-Skaterhockey tragen wir keine Schulterpolster“, erläutert Lizards-Kapitän Finn Erxleben. „Da die Kühle des Eises fehlt, wäre das einfach zu heiß.“
Inline-Skaterhockey ist ein Sport für Idealisten, für Leute wie Erxleben und Otto, die bereit sind, stundenlang Rundum-Banden auf- und abzubauen oder ganze Wochenenden zu investieren, um im fernen Westdeutschland 2. Bundesliga zu spielen. Die infiziert sind von der Rasanz des Spiels und von dem magischen Moment, wenn ein kleiner Ball auf einen Schoner knallt.
Torfolge: 0:1 David Rose (1.), 0:2 Maurice Lang (2.), 1:2 Rasmus von Bröckel (3.), 2:2 Rouven Schwedler (3.), 3:2 Seedo Janssen (27.), 3:3 Felix Kämper (29.), 3:4 Maurice Lang (31.), 4:4 Mika Rex (41.), 5:4 Finn Erxleben (41.), 6:4 Tom-Niklas Meyer (44.), 6:5 Fabian Przybylak (46.), 6:6 David Rose (49.), 6:7 Felix Kämper (52.)
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