Lohbrügge. Die Verhältnisse in der Sporthalle des Gymnasiums Bornbrook in Lohbrügge sind beengt. Lediglich ein paar direkt an der Wand stehende Turnbänke bieten den Zuschauern beim Heimspiel der Handball-Spielgemeinschaft Bergedorf/Vier- und Marschlande gegen den SC Alstertal-Langenhorn Platz. Unter anderem sitzen dort die baldige Ehefrau von HSG-Kapitän Florian Schmidtke, Nicole Schleicher, sowie dessen künftiger Schwiegervater Stefan Schleicher. Im zweiten Abschnitt spielt „Schmidti“, wie der Rechtsaußen gerufen wird, auf ihrer Seite. Und so werden sie hautnah Zeugen davon, wie sich seine Laune minütlich verschlechtert. Denn nach einer zwischenzeitlichen 26:16-Führung (32.) klappt bei Schmidtke und Co. fast gar nichts mehr.
Eineinhalb Minuten vor der Schlusssirene ist aus dem Zehn-Tore-Vorsprung ein 32:34-Rückstand geworden. Nichts deutet nach dem unfassbaren Leistungsabfall noch auf einen Sieg der Bergedorfer hin. Doch dann nimmt die Partie tatsächlich noch einmal eine Wende. Zunächst verkürzt Tim Bohlen, dann gleicht Rene Pöhner in Überzahl aus, bevor Schmidtke – ausgerechnet Schmidtke! – vier Sekunden vor dem Ende zum 35:34-Sieg trifft.
Zehn-Tore-Vorsprung verspielt und doch noch gewonnen
Dank des fünften Tores des 28-Jährigen verdrängt die HSG Bergedorf/VM die Zweitvertretung des Bundesligisten HSV Hamburg von der Tabellenspitze, bei allerdings einem mehr ausgetragenen Spiel. Und was für Schmidtke nicht ganz unwichtig ist: Er hat durch seinen Treffer den Familienfrieden gewahrt. „Denn sonst hätte er gar nicht erst nach Hause kommen müssen“, witzelt Bald-Schwiegerpapa Stefan Schleicher nach dem Spielende, um dann nachzufragen, warum sich der Rechtsaußen und seine Teamkameraden das Leben so schwer gemacht haben
„Das war nicht gut von uns. Wir haben die Konzentration nicht aufrecht erhalten“, gibt Schmidtke selbstkritisch zu: „Aber wir haben uns dann als Mannschaft gut gefangen.“ Fürwahr! Und das sogar zweimal in einer verrückten Partie. Denn auch zu Beginn standen die Hausherren völlig neben sich und lagen nach fünf Minuten bereits mit 1:5 in Rückstand. „Danach haben wir von einer 6:0- auf eine 5:1-Deckung umgestellt, und es lief viel besser. Die letzten 20 Minuten der ersten Halbzeit waren überragend“, erklärt Coach André Peter.
Bei einer Auszeit schaute Coach Peter in niedergeschlagene Gesichter
Nach zwölf Minuten gingen die Hausherren durch Florian Boschat erstmals in Führung (11:10). Nun spielten sich die Bergedorfer in einen Rausch und zogen bis zur Pause auf 25:16 davon. Mit dem scheinbar komfortablen Vorsprung im Rücken ließen es die HSG-Handballer nach dem Seitenwechsel etwas gemütlicher angehen. „Da hat uns teilweise die Spannung gefehlt“, kritisiert Peter. Würfe aus schlechten Positionen sowie mangelnder Zugriff in der Deckung sorgten dafür, dass die Gäste Tor um Tor aufholten und schließlich wieder selbst in Führung gehen konnten. Bei einer Auszeit knapp zwei Minuten vor Ultimo schaute Peter in niedergeschlagene Gesichter. „Wir haben noch nicht verloren!“, sagte der Trainer aufmunternd.
Er sollte Recht behalten, auch weil Schmidtke beim letzten Wurf des Spiels die Nerven behielt. „In der Situation hat er seine ganze Erfahrung gezeigt“, lobt Peter seinen Kapitän, der einst bei der SG WIFT Neumünster Oberliga-Luft schnupperte. Und genau in diese Spielklasse könnte nun auch der Weg der HSG Bergedorf-VM führen, sollte sie die Tabellenführung bis zum Saisonende verteidigen und dann das Aufstiegsrecht wahrnehmen.
Viele haben in der Oberliga gespielt und wollen es nun ruhiger angehen
Aber Letzteres wäre – Stand jetzt – wohl nicht der Fall. „Der Aufstieg ist für uns kein Thema“, erklärt Coach Peter. Und Schmidtke ergänzt: „In der Oberliga zu spielen, wäre natürlich geil. Aber viele von uns haben dort bereits gespielt und wollen es nun ruhiger angehen lassen.“
Freundin Nicole wird es gewiss gerne gehört haben. Denn bei einem Aufstieg würde ihr künftiger Ehemann – das Paar heiratet Anfang April – an den Wochenenden ob teilweise weiter Auswärtsfahrten kreuz und quer durch Schleswig-Holstein wohl nicht allzu viel Zeit zu Hause verbringen.
HSG-Tore: Florian Pohl (11/6), Rene Pöhner (9/1), Tim Bohlen (6), Florian Schmidtke (5), Nicola Kraljevic (3), Florian Boschat (1).
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