Von Daniel Kaiser

Kirchwerder.
Gestern waren Kristina Boe und Viktor Brüsewitz, die besten Voltigierer vom Reit- und Fahrverein Kirchwärder, wieder im "normalen" Leben angekommen. Der Student des Ingenieurholzbauwesens jobbt in einer Futterfabrik. Boe absolviert im Rahmen ihres Medizinstudiums ein praktisches Jahr im Krankenhaus. Nach sechs Tagen bei der Europameisterschaft in der Aachener Soers bleibt keine Zeit zum Verschnaufen.

Mit Blick auf die vergangene Woche spricht Boe von einem "Erlebnis für die Ewigkeit". Dabei verpasste die 27-Jährige nach dem größten Pech ihrer Karriere die anvisierte Medaille. Trainingspartner Brüsewitz - im Vorfeld als Topfavorit gehandelt - gewann zwar "nur" Bronze, zeigte sich dennoch sehr zufrieden.

Rückblende: An den Finaltagen der kontinentalen Titelkämpfe auf dem legendären Aachener Gelände strömten 6500 Zuschauer ins ausverkaufte Stadion und brachten den Kessel der Pferdeakrobaten zum Beben. 200 Meter entfernt trugen gleichzeitig die Springreiter ihr Championat aus. "Ich wurde von ihnen ständig gefragt, was da drüben bei den Voltigierern los sei, es war einfach ohrenbetäubend laut", berichtete Organisationschef Frank Kempermann.

Die Voltigierer hatten Eindruck hinterlassen. Bild, Welt, Bunte entdeckten den Sport für sich. Der WDR übertrug live. Die Fan-Scharen hatten sich im Vorfeld via soziales Netzwerk auf einen "Dresscode" geeinigt: schwarz (Nordtribüne), rot (West) und gold (Süd). Mittendrin: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Innenminister Thomas de Maizière, Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. "Ich hatte Tränen in den Augen, weil es so schön war", berichtete Kristina Boe. "Ich wurde vom Publikum mitgetragen."

Dass es am Ende beim Sieg von Simone Jäiser (Schweiz)nur für Platz sieben reichte, ist viel Pech geschuldet. Im ersten Kür-Durchgang trat Pferd "Highlander" auf eine seiner sogenannten Springglocken, die zum Schutz des Fesselgelenks am Bein befestigt sind und nun zu Boden fiel. Davon irritiert sprang der Vierbeiner in den weiteren Runden über den "Fremdkörper". Das Resultat war eine Galoppade, mit der Boe nicht mehr ihre hochgradig schwierige Choreografie sondern lediglich ein deutlich abgeschwächtes Programm zeigen konnte. "So etwas passiert nur einmal im Leben", bedauerte Bundestrainerin Ulla Ramge. Das Resultat war ernüchternd: Boe schaffte es gerade noch ins Finale der Top 15. Mehr als Rang sieben war letztlich nicht drin.

Auch der amtierende deutsche Meister Viktor Brüsewitz, der zum Auftakt auf "Rockard H" die Pflicht gewann, erlebte in der ersten Kür einen Rückschlag, fiel kurzzeitig aus den Medaillenrängen und kämpfte sich wieder auf Bronze vor. Vor ihm lagen in der Endabrechnung seine Bundeskaderkollegen Jannis Drewell sowie sein jüngerer Bruder Thomas Brüsewitz, der für Rittergut Habighorst (bei Celle) startet. "Es gibt keine Worte für diese EM. Einfach großartig", sagte der 25-jährige Viktor mit Tränen in den Augen.

Medial haben die Voltigierer also für Aufsehen gesorgt, im finanziellen Vergleich können sie mit den Springreitern aber nicht mithalten. Während Springreit-Europameister Jeroen Dubbeldam 100 000 Euro Preisgeld bekam, mussten sich Viktor Brüsewitz (750) und Boe (160) mit einem Bruchteil begnügen. Als Leistungssportler bleibt dennoch keine Zeit zu verschnaufen. Bereits heute machen sich Boe/Brüsewitz auf den Weg zu den deutschen Meisterschaften ins hessische Alsfeld.