Von Olaf Lüttke

Boberg.
Sebastian Huhmann ist am Mittwochmorgen früh auf den Beinen. Gegen 6 Uhr hat der Wecker geklingelt, er trifft letzte Vorbereitungen. Bevor es los geht, muss der Boberger noch seine drei Kinder in den Kindergarten bringen. Anschließend geht es zum Segelflugplatz, der nur wenige Hundert Meter von seinem Haus entfernt liegt.

Kaltluft ist aus Skandinavien herübergezogen, dazu gibt es klare Sicht. So soll es sein. Huhmann, der für den Hamburger Aero Club Boberg startet, macht seine ASG 29 startklar. Drei Liter Wasser hat er dabei, dazu ein paar belegte Brote. Die Strecke, die er heute fliegen will, hat er angemeldet. Zunächst geht es zum Plauer See, dann weiter ins emsländische Lingen, zurück in den Osten bis Neustadt-Glewe und anschließend wieder an den Ausgangsort. Rund 1000 Kilometer. Das hat zuletzt von Boberg aus Klaus Tesch geschafft. Vor 43 Jahren.

Am 25. April 1972 herrscht eine konstante Nord-Ost-Strömung, wie es sie heute praktisch nicht mehr gibt. Mit Proviant und vielen Karten ausgestattet, setzt sich Tesch in sein Segelflugzeug. "Allein die Idee, 1000 Kilometer fliegen zu wollen, war damals verrückt", sagt der heute 80-Jährige. Er hat sich bei der Flugwetterwarte informiert und wusste: So gute Bedingungen werde ich so schnell nicht wieder bekommen. Über die Niederlande und Belgien geht es bis nach Frankreich. Eine Strecke, die man heute wegen der Luftraumbeschränkungen nicht mehr fliegen darf.

Unterwegs reißt Tesch immer wieder Papier von seinen Karten ab und schmeißt es einfach raus. Die Karten nehmen zu viel Platz weg. Nach 1050 Kilometern landete er auf dem Segelflugplatz von Ancenis an der Loire. Einen Jungen fragt er nach "der Polizei". Der versteht nicht. Polizei heiß auf französisch Gendarmerie. Schließlich findet Tesch, was er sucht.

Daheim machen sie sich bereits Sorgen, schließlich ist es in Hamburg schon schummrig. Via Telefon kann der Boberger die frohe Kunde vom Gelingen seines 1050 Kilometer langen Fluges übermitteln, der noch dazu einen neuen Weltrekord in der Klasse Zielflug bedeutet.

Während früher ohne Karten gar nichts ging, kann Sebastian Huhmann heutzutage praktisch auf sie verzichten. Das Navigationssystem Moving Map übernimmt die meiste Arbeit. Dennoch ist Huhmann, der als Pilot der Lufthansa sein Geld verdient, ständig dabei, seinen Kurs zu optimieren. Er fliegt unter den Wolken, in einer Höhe von 800 bis 2000 Metern. Die Zeit vergeht im wahrsten Sinne des Wortes wie im Fluge. "So ein Wetter mit einer derartigen Thermik und einem klaren Himmel gibt es in Norddeutschland vielleicht an zwei Tagen im Jahr", weiß Huhmann.

Im Alter von 14 Jahren saß er zum ersten Mal in einem Segelflugzeug. Später durfte er dann in dem von Klaus Tesch fliegen, der erst im vergangenen Jahr mit der Segelfliegerei aufgehört hat. "Ich habe zu seinem Vater gesagt: Aber nur, wenn die Leistungen von Sebastian in der Schule nicht zurückgehen", erklärt Tesch und grinst dabei. Nach 9:50 Stunden und 1007,16 Kilometern landet Huhmann wieder in Boberg. Dass es 43 Jahre gedauert hat, bevor wieder ein Segelflieger von Boberg aus die 1000er Marke knackt, ist auch ein Beleg dafür, wie groß die Leistung von Klaus Tesch gewesen ist.