Von Dirk Schulz

Bergedorf.
20.45 Uhr.
Montagabend,

20.46 Uhr, Harburg.
Sascha Brinckmann (30) aus Schwarzenbek hat seit über einer Stunde Feierabend. Anstatt nach Hause zu fahren, guckt der HSV-Dauerkarteninhaber die Partie auf der Arbeit auf einem Mini-Fernseher. Nach den vergebenen Großchancen wie dem Pfostenschuss von Pierre-Michel Lasogga schüttelt er nur noch mit dem Kopf.

20.47 Uhr,
Karlsruhe, Wildparkstadion. Dem Allermöher Marcel Jeremias, der mit seinen Freunden Sven Michael, Dennis und Yannik Tornieporth die 650 Kilometer im Auto nach Baden gefahren ist, schwant Böses, sollte es bei der den Abstieg besiegelnden Niederlage bleiben. "Die Ultras haben sich schon fertig gemacht, um den Platz zu stürmen", hat er von seinem Platz im Fanblock beobachtet. Ein großes Polizeiaufgebot (Jeremias: "So viel hatten wir noch nie") hält sie in Schach. Dann gibt es Freistoß für die Hamburger.

20.48 Uhr,
Schwarzenbek. Die drei "Männer" der Familie Reinke, Sven (37), Maxi (12) und Felix (8), haben das Zimmer des Jüngsten mit den üblichen Fan-Utensilien geschmückt und sind in ihre Trikots geschlüpft. Besonders Maxi hält die Anspannung kaum aus. "Diaz macht ihn rein", prophezeit er.

20.48 Uhr,
Karlsruhe. "Mach' ihn, Diaz!", fleht Jeremias.

20.49 Uhr,
Karlsruhe. Der kleine Chilene mit dem Vornamen Marcelo schlenzt den Ball über die Mauer. Tooooor! Grenzloser Jubel. Auf dem Feld. Im HSV-Block. In Schnakenbek, Harburg. In allen Wohnzimmern und Kneipen mit Fans des Rautenklubs. Auch in Felix Reinkes Zimmer tobt der Bär. "Wir sind wie wild herum gesprungen, haben laut geschrien. Meine Frau ist daraufhin hochgekommen und hat gefragt, ob der Klassenerhalt sicher wäre", berichtet Sven Reinke. Ist er nicht: 1:1 - das heißt Verlängerung!

20.52 Uhr, Schnakenbek.
Perkuhns Fernseher läuft immer noch. "Das ist von der Spannung ja noch schlimmer, als im letzten Jahr", sagt er zu sich selbst.

21.26 Uhr, überall.
Die nächste Gefühlsexplosion. Selbst zurückhaltende HSV-Anhänger wie unser Redaktionsleiter Wolfgang Rath lassen ihren Emotionen jetzt freien Lauf. Nicolai Müller - eine dieser vielen Enttäuschungen im HSV Kader 2014/15 - hat einen Pass von Cleber über die Linie gedrückt: das 2:1.

21.34 Uhr, Wildparkstadion.
Abpfiff. Die Rothosen und die Fußball-Bundesliga, das gehört auch weiterhin zusammen. Mannschaft, Verantwortliche, Fans liegen sich in den Armen. "So eine geile Feier mit den Spielern", stellt Marcel Jeremias fest.

21.35 Uhr, Schwarzenbek.
Vater Sven Reinke verdrückt ein Freudentränchen. "Klammheimlich", wie er sagt.

21.36 Uhr, Harburg.
Brinckmann, der bei Hamburg Wasser arbeitet und Notdienst hat, muss zu einem Einsatz - eine Abwasserleitung ist verstopft. "Zum Glück erst jetzt", sagt er augenzwinkernd.

22.12 Uhr, Schnakenbek.
Perkuhn schreibt bei Facebook: Ich so: "Wer ist eigentlich dieser Abstieg?" Du so: "Warum, woher kommst du?!" Ich so: "Hamburg!!!" Du so: "Okay, dann kennst du das wirklich nicht!" Auf den Smartphones vieler Fußballfans bimmelt im Sekundentakt - Tenor: "Nur der HSV!"

Dienstag, Hamburg.
Um 5 Uhr ist Jeremias zurück. Zwei Stunden Schlaf müssen nach diesem denkwürdigen Spiel reichen. Auch Peter Stut (Ochsenwerder) ist gekennzeichnet: "Ich bin heiser. In der letzten Minute waren wir mausetot." Fazit: Die Fans können ihr Glück kaum fassen. Oder was schrieben doch gleich die Satiriker von "Der-Postillon.com": DFB führt Relegationsauszeichnung auf Bundesligatrikots ein. Dazu ein Bild der HSV-Raute, einem Meisterstern darüber und zwei Schweinchen darunter.