Julian Reister: Der Reinbeker ist 35 Wochen im Jahr unterwegs

In den vergangenen Tagen hatte Julian Reister erneut dieses Kribbeln gespürt. Das kommt immer, wenn der Reinbeker zu lange zu Hause ist. "Ich habe dann das Gefühl: Ich muss wieder los." Gestern durfte der Tennis-Profi seine beiden großen Taschen packen, mit denen er reist. Eine für die zahlreichen Tennis-Utensilien, die andere für die persönliche Habe. Wenn sein Flug keine Verspätung hatte, dann ist der 27-Jährige in den frühen Morgenstunden des heutigen Sonnabends in Kenia gelandet. Zwei Wochen absolviert er auf Einladung seines Managers Rainer Schüttler ein Athletik-Trainingscamp.

Mit dem Trip nach Afrika hat Reister auf alle Kontinente (außer der Antarktis) in diesem Jahr seinen Fuß gesetzt. Er spielte Turniere in Chile und Korea, Australien und den USA, in Bosnien-Herzogwina oder Rumänien. Insgesamt waren es 22 in 15 verschiedenen Ländern. Eine Ochsentour.

Doch die hat sich gelohnt. Nie in seinen acht Berufsjahren war Reister in der ATP-Rangliste besser platziert als jetzt. Überwiegend startete der Rechtshänder auf kleineren Challenger-Turnieren. Dort gibt es nicht viele Punkte fürs Klassement zu holen. Und nur wenig Preisgeld. "Ich habe mich hochgearbeitet", sagt er. Drei kleinere Turniere, in Rom, Blois (Frankreich) und Trnava (Slowakei), gewann er und kletterte so Stück für Stück auf Platz 86.

Vor zwei Jahren war der Reinbeker schon einmal unter den besten 100 Tennisspielern der Welt. Dann fiel er mit einer rätselhaften Schulterverletzung ("Was es genau war, weiß man nicht. Ich konnte jedenfalls nicht mehr aufschlagen.") mehr als ein Jahr lang aus und rutschte bis auf ATP-Rang 538 ab. Irgendwann gingen die Schmerzen von allein. Und mit dem neuen Trainer Jan Velthuis kam schnell auch der Erfolg zurück.

Jetzt kann Julian Reister seinen Traumberuf wieder voll auskosten. 35 Wochen führte ihn dieser im Jahr 2013 von Zuhause und der Freundin, einer Bergedorferin, mit der er seit sieben Jahren zusammen ist, weg. "Ich kenne viele im Geschäft, die damit nicht klar kommen. Man muss es mögen", sagt Reister.

Und Opfer bringen. Wenn Freunde ihn zu Partys einladen, ist er praktisch nie da. Nur einen der vergangenen sechs Geburtstage feierte er in Hamburg. "Ich habe aber kein Heimweh mehr. Neben der Arbeit habe ich ja auch ein schönes Leben. Und in der heutigen Zeit mit Skype und Whatsapp ist es kein Problem, in Kontakt zu bleiben", ergänzt Reister.

Die Übernachtungen während der Turniere übernimmt meist der Veranstalter. Das heißt, Reister muss "nur" noch die Flüge und seinen Trainer von den erspielten rund 185 000 US-Dollar-Preisgeld (etwa 135 000 Euro) bezahlen. Für Sehenswürdigkeiten bleibt vor Ort allerdings keine Zeit. Seine Tage verbringt der Reinbeker auf dem Tennisplatz. Von einem Turnier geht's meist direkt zum nächsten. Wie nach dem Sieg beim Challenger in Blois (Frankreich). "Ich bin mit der Bahn quasi direkt auf den Platz in Wimbledon gefahren und habe ohne Training auf Rasen gleich mit Lukas Rosol die Nummer 37 der Welt geschlagen", erinnert sich Reister gerne zurück.

Im kommenden Jahr will er selbst in die Top 50 aufsteigen. Dafür wird der Vielflieger wieder tausende Meilen im Flugzeug abreißen. Zwar kehrt er aus Kenia noch mal für ein paar Tage nach Hamburg zurück, doch bereits am 25. Dezember wird er sagen: "Ich muss wieder los." Erst nach Indien und von dort zu den Australian Open. Es kribbelt schon.