Als die 24-Jährige aus dem künstlichen Koma erwachte, konnte sie weder laufen noch sprechen.

Die junge Frau im Tor der Fußballerinnen des SC Vier- und Marschlande II hat an diesem verregneten Tag nicht viel zu tun. Nur eine Handvoll Bälle muss Franziska Fischer in der Partie beim SV Bergedorf-West abwehren. Dennoch erregt die 24-Jährige Aufmerksamkeit. Mit ihrem Kopfschutz erinnert die Neuengammerin an den tschechischen Nationalkeeper Petr Cech, der den Helm seit einem im Wettkampf erlittenen Schädelbasisbruch trägt. Franziska hat es härter getroffen. Dass sie überhaupt wieder spielen kann, grenzt an ein Wunder.

Rückblende: Am 3. Mai 2008 ist sie auf dem Kiebitzdeich mit dem Fahrrad unterwegs. Als Franziska den Neuengammer Heerweg überquert, wird sie von einem Auto erfasst und erleidet lebensgefährliche Kopfverletzungen - die Schuldfrage wird sich nie klären lassen.

Tatsache ist allerdings, dass das Leben der 24-Jährigen nie wieder dasselbe sein wird. Wochenlang liegt sie mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma (siehe Kasten) und Knochenbrüchen im künstlichen Koma. Als sie Ende Mai 2008 wieder erwacht, kann sie nicht selbstständig atmen, geschweige denn sprechen oder laufen. "Seien sie froh, dass ihre Tochter überhaupt noch lebt", eröffnen die Ärzte im Krankenhaus den schockierten Eltern. "Stellen sie sich darauf ein, dass sie immer im Rollstuhl sitzt."

Doch ihre Tochter ist eine Kämpferin. Mühsam erarbeitet sie sich jeden noch so kleinen Fortschritt. "Man fühlt sich wie ein Baby", sagt sie heute über die Zeit in der Rehabilitation in der Helios Klinik Geesthacht. "Im Sprachunterricht hat man mir ein Bild mit einer Ampel gezeigt. Ich wusste, was es ist, konnte aber das Wort nicht über die Lippen bringen. Das war frustrierend."

Sechs Monate später wird sie entlassen. Äußerlich sind die Wunden verheilt. Haare verdecken die großen Narben auf dem Kopf, Franziska kann ohne Hilfe gehen, nimmt sogar ihre alte Arbeit in einem Supermarkt wieder auf. Aber das Schicksal hat es noch härter auf sie abgesehen. Sie wird auf der Arbeit gemobbt, die Eltern trennen sich, dann stirbt die Mutter. Bei der 24-Jährigen stellen sich danach epileptische Anfälle ein. "Es ging nach unten", sagt sie über diese Zeit.

Nur der Sport gibt ihr noch Halt. "Fußball ist mein Leben", sagt die Neuengammerin. Als von den Ärzten das Okay kommt, besorgt sie sich den Kopfschutz und geht beim SCVM wieder zum Training. "Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie noch mal wiederkommt", gibt Trainer Rainer Ponik zu. Am 2. Mai, fast auf den Tag ein Jahr nach dem Unfall, feiert die ehemalige Spielerin in der Hamburger Auswahl ihr Comeback, wird wenig später bei einem Turnier des SV Osdorfer Born sogar zur besten Torhüterin gewählt.

"Die Frage nach dem ,Warum' stelle ich mir nicht mehr. Das ist mein Schicksal", sagt die Neuengammerin. "Ich stelle mich auf nichts ein, nehme das Leben, wie es ist." Dazu gehört auch, dass sie wegen ihrer Anfälle bis auf Weiteres wieder in die Reha nach Geesthacht gegangen ist. Sie hat sich mit ihrer Behinderung arrangiert. "Mit meiner Geschichte will ich anderen Betroffenen Mut machen", sagt die 24-Jährige.

"Bei Franziska war es ein außergewöhnlich guter Verlauf, andere brauchen länger, bei manchen bleiben immer Folgen zurück. Für unsere Patienten ist es aber wichtig, dass sie sehen, dass es einen Weg nach draußen gibt", sagt der Chefarzt der Helios Klinik, Doktor Achim Nolte. Franziskas nächster Weg soll sie wieder auf den Fußballplatz führen - sofern das Schicksal es zulässt. "Meine Klamotten habe ich schon in die Klinik mitgenommen."