Hamburg. Jahrzehntelang hat Peter Hein darauf gehofft: An Heiligabend erfuhr der 67-Jährige, dass die Katholische Kirche sein Leid anerkennt.

Darauf hat Peter Hein jahrzehntelang gehofft – und doch jeden Tag an den Missbrauch gedacht, den er in schrecklichen Kindertagen erleben musste, als er im Bergedorfer Kinderheim am Grasredder wohnte. Bis 1966 war der heute 67-Jährige der willkürlichen Quälerei und Demütigung durch katholische Ordensschwestern ausgesetzt, die im Namen der Thuiner Franziskanerinnen ein hartes und böses Regiment führten. Das ihm zugefügte Leid sei zwar niemals zu entschuldigen, wohl aber durch eine finanzielle Entschädigung anzuerkennen, meint Peter Hein: „Die Diözese streitet sich mit den Franziskanern darüber, wer dafür zuständig ist. Sie hat vor 20 Jahren den Laden übernommen mit dem Wissen, dass im Heim Kindesmisshandlungen stattgefunden haben.“

Es war genau der 24. Dezember, als er über seinen Rechtsanwalt erfuhr, dass nun endlich Geld fließt: Auf ihrer letzten Sitzung im Jahr 2022 entschied die unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) in Bonn, ihm 25.000 Euro zu überweisen – als „Anerkennung Ihres erlittenen Leids durch die Katholische Kirche“.

Rückblick 2022: Entschädigung war ein „schönes Weihnachtsgeschenk“

Da gab es keine Verhandlung mit Beweisaufnahme. Auch war es kein zivilrechtlicher Schmerzensgeldprozess, sondern „ein besonderes, kirchliches Verfahren“, erklärt Anwalt Eilert Dettmers aus Schwerin, der als „unabhängiger Ansprechpartner“ half und sogar einen persönlichen Termin beim Erzbischof angeboten hatte.

Das aber lehnte das Missbrauchsopfer müde ab: Zwar glaube er noch an Gott, aber aus der Kirche sei er längst ausgetreten. Freut er sich denn über die Entschädigung? „Ein schönes Weihnachtsgeschenk, und dass die Kirche nun eingelenkt hat. Aber trotz allem bleiben die Wunden bestehen sowie die Erinnerungen. Ich werde damit leben müssen“, sagt Peter Hein.

Was genau ist ihm widerfahren? Ich war zutiefst berührt, als er es mir im Frühjahr in einem Eimsbütteler Café erzählte: Die Mutter, eine Prostituierte auf St. Pauli, gab das Baby in ein Waisenhaus in Prisdorf (Kreis Pinneberg). Nach zwei Jahren kam Klein-Peter nach Bergedorf, wo er sich im Kinderheim mit 19 Jungs einen Schlafsaal teilte. „Zwei- oder dreimal im Monat holte mich Schwester Irma in ihr Zimmer und fingerte an mir herum, steckte den Finger in mein Poloch – auch wenn ich weinte, weil es wehtat“, berichtete er.

Das habe angefangen, als er acht Jahre alt war. Wenn Peter wieder nachts ins Bett machte, „dann zog sie mich an den Haaren, zerrte mich unter die kalte Dusche und war sauer, weil sie nicht an mir herumfummeln konnte. Anschließend gab es Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht oder mit einem Kleiderbügel auf den nackten Hintern. Mehrmals ist er sogar zerbrochen.“

Die ganze Nacht nackt auf dem Flur stehen

Damit war die Pein noch nicht vorbei: „Dann musste ich meine Matratze in den Flur schleppen und die ganze Nacht splitternackt daneben stehen bleiben.“ Morgens mussten die anderen Kinder um Peter rumtanzen und laut „Peter, der Bettnässer“ rufen. Zudem gab es am nächsten Tag für ihn nichts zu essen: „Ich saß im großen Saal als einziger vor einem leeren Teller.“

Als er zehn Jahre alt wurde, war das Martyrium plötzlich vorbei. Aber mit Schwester Irma verschwand leider auch sein bester Freund Thomas. Ein Jahr später, 1966, wurde auch Peter Hein in einer Pflegefamilie aufgenommen und mit 18 Jahren adoptiert – von einer katholischen Familie aus Altona. Da sah der Missbrauch anders aus: „Ich wurde wie ein Haussklave ignoriert und musste meine Pflegemutter zum Hafen begleiten, wo sie als Putzfrau in einer Firma arbeitete.“ Auch er habe die Büros und Treppenhäuser putzen müssen. Er fühlte sich wie ein Mensch zweiter Klasse. Mit 14 Jahren sei er zum Alkoholiker geworden.

Auf eine Kfz-Lehre folgten 18 Monate im Marinefliegergeschwader, dann fand Peter Hein Arbeit bei Steinway&Sons: „Ich habe die Flügel mit Polyester bespritzt und auf Hochglanz poliert. Zuletzt war ich sogar der Vize vom Meister, bekam viel Lob und habe gut verdient“, freute er sich – bis die Thrombose nicht mehr erträglich war. Der Rest ist kurz erzählt: Nach 35 Jahren kamen die Erwerbslosenrente und ein Alkoholentzug. „Ich habe immer kämpfen müssen, mich aber nie unterkriegen lassen“, sagt der 67-Jährige.

„Es war Balsam für meine Seele, das Heim im heutigen Zustand zu sehen“

Nach einem Bericht über Misshandlungen im „Hamburg Journal“ wagte er schließlich im Frühjahr einen mutigen Rückblick – und fuhr nach Bergedorf. Im Kinder- und Jugendhaus, dessen Träger seit 1996 das Erzbistum Hamburg ist, wurde er mit warmen Worten empfangen. Die heutige Leiterin Kathrin Hettwer führte ihn durch die Räumlichkeiten der 64 Bewohner.

„Es war Balsam für meine Seele, noch mal das Heim im heutigen Zustand zu sehen. Da hat jetzt jedes Kind ein eigenes Zimmer und kann sich zurückziehen. Alles ist hell und freundlich. Die Kinder haben es jetzt da gut, das ist sagenhaft“,denkt der 67-Jährige und fügt hinzu: Er fühle sich jetzt endlich glücklich und ausgewogen.