Lohbrügge. Das Hotel in Kabul darf er manchmal tagelang nicht verlassen. Zu groß ist die Sorge vor dem „Geschäftsmodell Entführung“. Und auf dem Flur vor seinem Zimmer patrouillieren Männer mit Kalaschnikows: „Ich weiß nicht, ob das ein Teil der Lösung oder des Problems ist“, überlegt Dr. Wolfgang Dittmar. Der 71-Jährige war im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) schon viermal in Afghanistan, immer ein bis zwei Wochen lang. Sein Projektauftrag: deutsche Pilotschulen aufbauen.
Erstmal ging es nach Jordanien
Zu dem Job kam Dittmar eher zufällig – durch Beziehungen in der Schulbehörde. Denn von 1990 bis 1995 leitete er das Gymnasium Lohbrügge, ging anschließend für eineinhalb Jahre als Amtsleiter in die Bildungsbehörde, um danach wieder Schulleiter zu sein, drei Jahre am Gymnasium Hamm. Noch vor der Pensionierung schickte ihn die Behörde für drei Wochen nach Jordanien, um das Modell der selbstverwalteten Schule vorzustellen. „Das wollten sie vor Ort zwar wegen der hohen Korruption nicht haben. Aber da entstand der Kontakt zur GIZ“, sagt Dittmar.
Und so fragten die Entwicklungshelfer nun an, drei Schulen in Kabul zu betreuen. Zwei Mädchenschulen haben jeweils etwa 1000 Schülerinnen, die Jungenschule zählt sogar 3500 Kinder und Jugendliche. „Und sie wurde bereits 1924 von Deutschen in Kabul gegründet, man hatte eben immer schon gute Beziehungen zu Afghanistan. Heute ist Deutschland das zweitgrößte Geberland mit vielen Projekten.“ Die Förderung werde vom Auswärtigen Amt betrieben, „weil Frank-Walter Steinmeier eine gute Beziehung zum ehemaligen Außenminister Afghanistans unterhält“, erfuhr Dr. Wolfgang Dittmar.
Sprengstoff im Kies-Laster?
Jedenfalls haben die Mädchenschulen bereits neue Turnhallen bekommen. Der Kunstrasenplatz für die Jungs ist indes noch immer nicht fertig: „Es gibt keine Genehmigung für die Anlieferung mit Kies-Laster. Niemand will dafür die Verantwortung übernehmen, dass darin kein Sprengstoff versteckt ist.“
21 Uhr Hamburg, 6 Uhr Dubai, 13 Uhr Kabul, dann beginnt das Abenteuer im gepanzerten Wagen. „Das Nummernschild liegt hinter der Sonnenblende. Das wird nur an den Schlagbäumen gezeigt“, beschreibt der Pädagoge die Fahrt „durch eine martialische Welt, in der sich Armut mit Gewalt paart“. Gerade im Stau habe er ein ungutes Gefühl, vor allem wenn sich per SMS gerade wieder das „Risk-Management-Office“ meldet und sagt, welcher Bezirk in der Vier- bis Fünf-Millionen-Stadt aktuell gesperrt ist.
Ein Schulhof hinter Stacheldraht
Dann geht es ins Schulgebäude hinter vier Meter hohen Mauern, gekrönt mit Stacheldraht. Verschleiert und in Schuluniform treffen sich die Mädchen in den Klassenzimmern – dankbar für jeden Unterricht. „Denn die Taliban haben viele Schulen geschlossen. Frauenbildung ist nicht gerade angesagt“, erzählt Dittmar. Aber dass nur Buchseiten abgearbeitet werden, die Schüler sich bloß gegenseitig vorlesen, ist auch seine Vorstellung von gutem Unterricht nicht. Und so gehört es zu seinem Auftrag, das System auf Ganztagsunterricht umzustellen, samt Doppelstunden und nachmittäglichen Arbeitsgruppen.
Bei den Erklärungen hilft ihm ein Dolmetscher. „Der kommt eigentlich aus Herat, kann aber nicht in sein Haus zurück, weil er aus Sicht der Taliban mit den Ungläubigen gearbeitet hat.“ Und dieser Übersetzer kann eben auch erklären, warum „Holy Quran“ und „Islamic Education“ weiterhin im Stundenplan bleiben müssen – neben den afghanischen Amtssprachen Dari und Pashtu sowie Arabisch, Englisch und Deutsch.
Keine Heizung: Im Winter ist die Schule dicht
Eine größere Herausforderung wird es sein, die drei Schulen auf Ganzjahresbetrieb umzustellen. Denn bislang sind sie von Anfang Dezember bis 21. März geschlossen. In 1800 Metern Höhe ist es einfach zu kalt, wenn es keine Heizung gibt, die Gebäude nicht isoliert sind. Das soll sich ändern, Sanierungen sind geplant. „Dann gilt es, genügend Lehrer zu haben. Denn im Moment haben sie alle im Winter einen Zweitjob, weil sie von 100 bis 150 Dollar im Monat nicht leben können“, erklärt Wolfgang Dittmar, der auch die afghanische Schulverwaltung in der Verantwortung sieht.
Ein Leitbild müsse her und ein Schulentwicklungsplan. „Wir arbeiten nach dem türkischen Vorbild. Denn die türkischen Privatschulen in Kabul haben einen hohen Leistungsstandard“, sagt der ehemalige Rektor. Ihm schwebt vor, die Trägerschaft der drei deutschen Schulen spätestens 2018 an eine NGO übergeben zu können, an eine nichtstaatliche Organisation.
„Kein sicheres Herkunftsland“
Ende April wird der 71-Jährige wieder nach Kabul fliegen. Mit diesem mulmigen Gefühl. Schließlich „wurden zuletzt im Sommer drei Deutschlehrer abgezogen. Aus Sicherheitsgründen“. Denn ganz sicher sei Afghanistan kein sicheres Herkunftsland: „Wie es morgen ist, weiß kein Mensch.“
Und so bleibt es dabei, dass seine Frau Jutta daheim in Reinbek jedesmal zittert: „Ich bin immer traurig und aufgeregt. Aber bei so viel Enthusiasmus kann ich Wolfgang ja kaum bremsen.“ Als ehemalige Leiterin der Adolph-Diesterweg-Schule in Neuallermöhe weiß sie darum, wie wichtig Bildung für diesen Erdball ist.
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