Von Anne K. Strickstrock

Bergedorf.
Mal ist sie wütend und verzweifelt, meist fühlt sie sich einfach nur hilflos: Petra J.* vermisst ihre Tochter Jasmin. Denn die 16-Jährige ist am 3. August aus einem betreuten Jugendheim ausgebüxt - nicht zum ersten Mal. Diesmal aber liest die 37-jährige Mutter Erstaunliches bei Facebook: "Bin auf dem Weg nach Polen", schreibt Jasmin. Mutter Petra hat einfach nur Angst: "Davor, dass sie auf den Strich geht oder Selbstmord begeht."

Das ist die traurige Geschichte eines Mädchens, das sich offenbar nie geliebt fühlte. Als Jasmin vier war, trennten sich die Eltern. Die Mutter zog mit ihrem neuen Freund, dem Kraftfahrer Stefan R. (36), zusammen. Ihre gemeinsamen Söhne sind heute elf und sechs Jahre alt. Von 2008 bis 2012 lebte die Familie in Österreich, mit der hyperaktiven Jasmin gab es jedoch immer Ärger: "Sie klaute, machte Sachen kaputt und hat viel gelogen. Den Nachbarn erzählte sie etwa, sie müsse in einer dunklen Kammer schlafen. Mir sagte sie, der Vermieter habe uns Geld geklaut. Und Stefan hat sie bei der Polizei angezeigt, weil er sie schlagen würde", erzählt Petra J., die einst bei Lidl verkaufte, heute arbeitsunfähig ist.

Erst kam wöchentlich ein Sozialarbeiter in die Familie - es half nicht. Dann lebte das Mädchen ein Jahr lang in einer Jugendwohngruppe, zog zurück zur Familie - und provozierte erneut: "Aua, schlag mich bitte nicht", habe sie gerufen, sobald ein Nachbar nahe der Haustür war. Auf jedem Einzelnen lastete die düstere Atmosphäre des Misstrauens. Ein Neuanfang in Bergedorf sollte die Situation retten - mithilfe der Oma, die hier wohnte. Aber sie starb kurz nach dem Umzug.

Nun besuchte Jasmin eine Stadtteilschule - wenn auch nicht regelmäßig. Längst war das Bergedorfer Jugendamt eingeschaltet, denn "vor zwei Jahren ging sie freiwillig in die Jugendunterkunft an der Feuerbergstraße", berichtet die Mutter, die kurz danach ihre Tochter in einer betreuten Wohngruppe in Bergedorf-West wusste. Auch dort haute sie öfter ab: "Sie verbrachte Nächte am Hauptbahnhof, nahm Drogen, beschmierte eine Wand mit Hakenkreuzen und hatte die Krätze. Das Jugendamt konnte uns nicht helfen, inzwischen sprachen wir mit der vierten Sachbearbeiterin", sagt Stiefvater Stefan.

Immer wieder Feuerbergstraße, immer wieder nächtliche Anrufe der Polizei. Petra J. ist entsetzt; "Eine Freundin sagte, sie habe betrunken von der Geesthachter Brücke springen wollen. Inzwischen hatte sie sich beide Arme geritzt. Warum kann das Bergedorfer Jugendamt nichts tun, wo doch das Kindeswohl gefährdet ist?"

Aber einiges wurde versucht, in Jugendeinrichtungen in Schwarzenbek, Ratzeburg, Groß Borstel. Immer wieder haute Jasmin ab - und meldete sich sporadisch bei der Mutter: "Sie sei jetzt verlobt. Dabei sprach sie alle zwei Wochen von einem anderen Mann." Ein Hilfeplangespräch im Jugendamt habe ergeben, sie wolle ihren Hauptschulabschluss machen. Zudem sollten die Eltern wöchentlich informiert werden. Seit April nun lebte Jasmin bei einer Jugendhilfe-Einrichtung in Niedersachsen, einer Einrichtung mit therapeutischer Begleitung. Dort aber brach sie ein Langzeitpraktikum in der Hauswirtschaft ab, erhielt am 3. August Freigang für eine Urlaubswoche in Hamburg. Die Mutter staunt: "Ich wusste aber gar nichts davon. Und am Telefon sagte mir ein Betreuer, meine Tochter sei doch schon 18."

Nun also Polen? "Ich denke, meiner Jasmin kann nur noch eine Therapie helfen. Am besten in einer geschlossenen Einrichtung", sagt Petra J: "Ich möchte doch, dass sie eine Zukunft hat, ein Leben." Sie selbst sieht sich machtlos. Auf ihrem T-Shirt ranken sich Rosen um einen Anker, dazu der Schriftzug: "Sorry I can't change" - tut mir leid, ich kann es nicht ändern.

* alle Namen geändert

"Warum kann das Bergedorfer Jugendamt nichts tun?" Mutter Petra J. (37)