Von André Herbst

Bergedorf.
Beim Bau von Sozialwohnungen hängt der Bezirk weit hinterher. 2014 wurde nach bz-Informationen in Bergedorf keine einzige Sozialwohnung fertiggestellt; wie viele es 2015 sein werden, lässt sich noch nicht sagen. Sicher ist: Allein um die Zahl der Sozialwohnungen annähernd auf einem Stand von knapp 5600 wie 2012 zu halten, müssten deutlich mehr als die bekannten Vorhaben umgesetzt werden.

Ein Projekt mit geplanten gut 100 geförderten Wohnungen zwischen Sander und Lohbrügger Markt ist gestoppt. Grund sei eine Neuausrichtung des Investors, sagt das Bezirksamt. Die Planungen bestünden aber fort. Immerhin: Für rund 130 geförderte Wohnungen in den Glasbläserhöfen nahe Schleusengraben wurde gerade Richtfest gefeiert (wir berichteten).

Gelingt kein Umsteuern, reduziert sich die Zahl im Bezirk binnen fünf Jahren auf gerade noch 2600 Wohnungen Ende 2017. Nach der Linken sprechen sich nun SPD- und Grünen-Politiker für einen Sozialwohnungsanteil von deutlich über 30 Prozent bei den Neubauten aus. Und dafür, die stadteigene Saga in die Pflicht zu nehmen, damit diese nach Jahrzehnten auch in Bergedorf wieder baut.

"In Neuallermöhe gibt es noch freie Flächen, doch die hat die Saga GWG bislang nicht nachgefragt", bedauert SPD-Fraktionschef Paul Kleszcz. Auch die Grünen wollen die Saga fordern, blicken auf Neuallermöhe-West, bestätigt Frauke Rüssau: "Wir müssen aber auch die zur Verfügung stehenden öffentlichen Flächen betrachten."

Der Mangel an Sozialwohnungen schlägt auf andere Bereiche durch: In Hamburgs Flüchtlingsunterkünften wie auch in Obdachlosen- und Männerwohnheimen leben teils schon Jahrzehnte Menschen, die in reguläre Wohnungen hätten ziehen können, ja teils müssen. Doch finanzierbarer Wohnraum ist rar - und für diese Klientel noch schwieriger zu haben als für andere Wohnungssuchende. Dringend benötigte Unterbringungsplätze bleiben also blockiert, weil Sozialwohnungen fehlen. Die Bezirksversammlung hat eine Arbeitsgruppe aus allen Fraktionen gegründet: Gemeinsam soll sie versuchen, die Voraussetzungen für 1000 weitere Unterkunftsplätze im Jahr 2016 zu klären. Dies allein wird nicht reichen, darüber herrscht jetzt weitgehend Einigkeit.

"Vor wenigen Monaten hat es geheißen, wenn nichts passiert, drohen Hamburg Zeltstädte. Inzwischen haben wir Zeltstädte und den Ausbruch von Krätze dort", schimpft Ernst Heilmann (Linksfraktion). "Mehr ist nicht passiert." Er fordert, nicht nur die stadteigene Wohnungsgesellschaft endlich in die Pflicht zu nehmen. "Auf stadteigenen Flächen müssen 100 Prozent Sozialwohnungen errichtet werden." Was in anderen Bezirken funktioniere, "muss auch in Bergedorf gehen. Und wir müssen uns endlich von dem Wunschdenken verabschieden, dass wir mit Nachverdichtung und Schließung letzter Baulücken der Lage noch Herr werden können."

Über eine Ausweitung von Neuallermöhe nachzudenken, so weit mögen Paul Kleszcz und Frauke Rüssau (noch) nicht gehen. "Es gibt noch innerstädtische Potenzialflächen", befindet die Grünen-Politikerin aus Curslack. "In Bergedorf ist eher innerstädtischer Wohnraum als Einzelhäuser nachgefragt", meint Paul Kleszcz. Die Pläne für einen neuen Stadtteil Oberbillwerder sollten weiter in der Schublade bleiben.

Bergedorfs SPD-Fraktionschef will aber "für künftige Projekte überlegen, ob 30 Prozent" Sozialwohnungen reichen, warnt zugleich, "bei bereits in Planung stehenden Projekten würde dies jedoch die Gefahr fördern, dass Investoren abspringen". Mit Investoren wie Rüdiger Gramkow, der am Schleusengraben das Wohngebiet "Schilfpark" auf einer jüngst erworbenen und einer städtischen Fläche plant, seien Gespräche zum Bau von Sozialwohnungen jedoch durchaus denkbar.

CDU-Pendant Sven Noetzel setzt große Hoffnungen darauf, dass der Bezirk sich künftig für ein Drittel der zu errichtenden Sozialwohnungen das Belegungsrecht sichert. Dann könne der Bezirk tatsächlich Wohnungssuchende auch konkret einweisen.

Der sich verschärfende Mangel an Sozialwohnungen lässt die Verantwortlichen auch über ungewöhnliche Ideen nachdenken. Im Gewerbegebiet Brookkehre möchte Hamburg weitere Flüchtlinge unterbringen. Doch statt die bereits vorhandenen 380 Plätze in Modul-Containern durch ein zweites Containerdorf zu ergänzen, denken die Bergedorfer an eine andere Lösung: Da im Gewerbegebiet neben Betriebswohnungen nur Flüchtlingsunterkünfte zulässig sind, will Bergedorf Wohnungen für die Flüchtlinge bauen.

"Wenn wir die später als Sozialwohnungen nutzen wollen, müsste der Bebauungsplan geändert werden, etwa von Gewerbe- in Mischgebiet", erläutert Bezirksamtsleiter Arne Dornquast. Bergedorfs Verwaltungschef ist optimistisch, dass die Nachbarn die Vorteile erkennen. "Leichten Beschränkungen für den Gewerbebetrieb stände dann als Vorteil die Absicherung der vorhandenen Werkswohnungen gegenüber."

Dass die Pläne für ein Bauprojekt zwischen Sander und Lohbrügger Markt derzeit ruhen, lässt Sven Noetzel eher hoffen: "Die dort geplanten gut 100 geförderten Wohnungen haben manche jubeln lassen. Aber dieser neungeschossige Bau plus Staffelgeschoss gehört zu den schlimmsten Plänen, die ich je gesehen habe. Und Wohnungen zum Innenhof, die allein den Blick auf die gegenüberliegende Hauswand bieten und keinen Sonnenstrahl hereinlassen, sind sicherlich nicht zeitgemäß."

Ein Projekt auf städtischer Fläche versucht das Bezirksamt aktuell auf den Weg zu bringen. Das Vorhaben für bezahlbare, teils seniorengerechte Wohnungen neben dem Moosbergheim in Lohbrügge ist ausgeschrieben. "Diejenigen, die vor Jahren mit ihren Forderungen versucht haben zu verhindern, dass dort auch Flüchtlinge leben könnten, müssen sich heute hinterfragen", sagt Dornquast mit Blick auf fehlende Unterkünfte.

"Inzwischen haben wir Zeltstädte und die Krätze."Wohnungen mit Blick auf die Hauswand