Von Thomas Voigt

Lohbrügge/Lampedusa
. "Wenn ihr uns zurück nach Libyen bringen wollt, dann ertrinken wir jetzt lieber", sagt die schwangere Frau in gebrochenem Französisch zu Ingo Werth. Doch der Lohbrügger Kapitän des früheren Fischkutters "Sea-Watch" kann der werdenden Mutter aus Mali glaubhaft versichern: "Mit uns geht es jetzt weiter in Richtung Europa."

14 Tage lang war der 56-jährige Freizeitkapitän mit Hochseepatent zwischen Lampedusa und Tripolis auf dem Mittelmeer unterwegs, überwiegend dicht vor der libyschen 24-Meilen-Zone. Dort trieb er mit seiner achtköpfigen Crew in Not geratene Flüchtlingsboote auf. Die Helfer bargen die darin zusammengepferchten Passagiere auf Rettungsinseln und riefen über das Maritime Rettungs-Koordinationszentrum (MRCC) in Rom Schiffe herbei, die die Menschen aus Afrika aufnahmen und nach Europa beförderten.

Insgesamt 587 Flüchtlinge haben Ingo Werth und die "Sea-Watch"-Crew bei sechs Rettungseinsätzen in der ersten Julihälfte gerettet. Morgen sticht das Motorschiff der "Sea-Watch"-Initiative von Lampedusa mit einer neuen Mannschaft erneut Richtung Libyen in See.

Etwa 300 Euro zahlt ein Flüchtling in Nordafrika für die "Überfahrt" an die Schleuser. "Die billigen Gummiboote aus China, auf die über 100 Leute gepfercht werden, sind aber überhaupt nicht seetüchtig", berichtet Werth. "Zudem ist der mitgegebene Treibstoff minderwertig und macht die Motoren kaputt. Die Kanister sind undicht, der ausgelaufene Fusel mischt sich mit Salzwasser und Urin zu einer ätzenden Plörre und zerfrisst die Haut der Leute. So treiben sie dann hilflos mit Motorschaden auf dem Meer. Da ist sofortige ärztliche Hilfe gefragt." Die Mediziner und Seeleute der "Sea-Watch" hatten Tag und Nacht zu tun, mehr als vier Stunden Schlaf waren für keinen von ihnen drin. "So ein Hilfseinsatz ist schon anspruchsvoll, aber auch zutiefst befriedigend", sagt Werth, der hauptberuflich an der Osterrade eine Autowerkstatt betreibt.

Etwa eine Million Menschen warten nach seinen Informationen an der Küste Nordafrikas noch auf ihren Schlauchboot-Trip. "Wie viele schon ertrunken sind, weiß kein Mensch." Aus seinen Gesprächen mit den Flüchtlingen weiß der Kapitän aber, dass vielen von ihnen die Aussichtslosigkeit der Überfahrt bekannt ist. "Sie hoffen einfach, dass sie von Europäern aufgefischt werden", meint Werth. "Die Chancen stehen vielleicht 50:50, in ihrem Heimatland stehen ihre Überlebenschancen eher 20 zu 80." In einem der Schlauchboote, das die "Sea-Watch" kurz vor dem Versinken barg, fand die Crew Leute aus acht Nationen: Eritrea, Bangladesch, Niger, Mali, Senegal, Gambia, Guinea und Guinea-Bissau. "Die Menschen haben oftmals einen monatelangen Landweg von Westafrika durch die Sahara bis ans Mittelmeer hinter sich", schildert Ingo Werth.

Die wirtschaftliche Not in ihren Ländern ist nach seinen Worten auch aus Europa importiert: "Mit billigen Altkleidern vernichten wir die heimische Textilindustrie, mit zentrifugierten Hühnerabfällen die Fleischproduktion. Und unsere Rosenfabriken verknappen in Afrika zusätzlich das wenige Trinkwasser."

Kein Verständnis hat Ingo Werth dafür, dass die monatlich mit 3,5 Millionen Euro EU-Mitteln geförderte Frontex-Mission "Triton" keine Schiffe in Richtung Libyen schickt: "Die halten an Italiens Küste Ausschau nach Flüchtlingsbooten. Nur kommen die aus Afrika da gar nicht hin."