Von Anne K. Strickstrock

Bergedorf.
Auf dem großen Flachbild-TV läuft ein arabisches Programm. Der Kaffee, den die kleine lachende Frau bringt, schmeckt nach Kardamom. Und auf der Tischdecke sind Osterhasen. Dunia El Osman sitzt auf dem grünen Sofa und wühlt in einer Heftmappe. "So schön war ich als junge Frau", zeigt die 70-Jährige stolz ein Schwarz-Weiß-Foto. Damals trug die Sunnitin noch kein Kopftuch. Damals, das war in Beirut, im Libanon.

Der Vater, ein Viehzüchter, hatte vier Frauen. So zählte Dunia irgendwann 24 Geschwister und Halbgeschwister. Sie weiß nicht, wie viele davon noch leben. "Mit 14 Jahren wurde ich verheiratet. Mit 17 hatte ich drei Kinder", erzählt Dunia. Und damit scheint schon fast alles gesagt. Doch dann brach 1975 der libanesische Bürgerkrieg aus. "Die schiitische Hisbollah hat einen meiner Söhne ermordet. Wir haben so viel Leid erlebt."

Vor 22 Jahren flüchtete Dunia mit einem Enkelkind nach Hamburg. Seither lebt sie im Pavillondorf am Curslacker Neuen Deich. Seither ist sie geduldet, offiziell heißt das "Aussetzung der Abschiebung". Dunia kann also nicht - wie manche Nachbarn - über Nacht abgeholt werden. Aber alle sechs Monate muss sie einen neuen Antrag auf Verlängerung stellen. "Mein größter Wunsch wäre ein Verwandtenbesuch in der Heimat. Aber leben wollte ich da nicht mehr. Der Libanon ist für mich keine Heimat mehr."

Aber ist Bergedorf ihre neue Heimat? Dunia hat nie lesen und schreiben gelernt, spricht auch deshalb kaum Deutsch. Selten verlässt sie das Containerdorf - bloß wenn ein Arzt ihr Schmerzmittel für die kranken Beine verschreiben muss.

Von ihren sieben Kindern sind zwei tot, vier leben inzwischen in Deutschland. "Meine Geschwister in Hildesheim, Bremen und Wuppertal haben eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Aber hier in Hamburg werde ich immer nur geduldet", ärgert sich Ragia El Osman. Kfz-Mechaniker sei er gewesen, aber in Deutschland dürfe er ja seit 14 Jahren nicht arbeiten. Keinen Führerschein machen. Keinen Deutschkursus besuchen. Kein Konto eröffnen. Die Stadt nicht länger als sieben Tage verlassen.

Laut der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl leben rund 86 000 Geduldete in Deutschland, zum Teil schon viele Jahre. Da sie keine sichere Lebensperspektive haben, fordert die Organisation: "Ab einer gewissen Aufenthaltsdauer müssen alle Ausreisepflichtigen die Möglichkeit auf ein Bleiberecht erhalten."

"Ach, Gesetze und Forderungen stehen doch nur auf dem Papier", meint Familie El Osman. Längst geht das Schicksal in die Enkel-Generation: "Ich kam als Baby nach Bergedorf. Heute habe ich vier jüngere Geschwister", erzählt der 15-jährige Mahmud. Er besucht die Stadtteilschule Lohbrügge, spielt gern Basketball. Sein größter Wunsch? "Ich würde gern mal Urlaub machen. Am liebsten im Libanon und einfach gucken, wie es da ist." Und dann schmunzelt er, als er den rufenden Muezzin hört: Es ist der Handy-Klingelton seiner Oma. "Ich selber verstehe fast kein Arabisch."