Von Anne K. Strickstrock

Bergedorf.
Zu seiner ersten Bürgerschaftssitzung kam er viel zu früh und wurde skeptisch vom Saaldiener beäugt, als er seinen Sitzplatz Nummer 12 fotografierte: Links im Schulterschluss mit den Grünen, rechts von ihm sitzt Fraktionskollege Norbert Hackbusch von den Linken. Auf Listenplatz 6 war der Lohbrügger Stephan Jersch "gerade so knapp" ins Hamburger Rathaus gerutscht - vor jetzt genau 100 Tagen.

Sein Start in die große Politik war denkbar schlecht: "Wir gingen mit elf Abgeordneten in die Fraktionspause und kamen mit zehn wieder raus, ohne Dora Heyenn." Die hatte just erfahren, dass der Landesvorstand eine Doppelspitze forderte - und trat prompt aus der Fraktion aus. "Das war zwar keine Palastrevolte, aber doch ein unschöner Arbeitsstart. Allein in den ersten vier Wochen sind wir nur durch die Bezirke getingelt, um Rede und Antwort zu stehen", sagt der 52-Jährige, der die Geschichte "noch immer nicht ausgeheilt" sieht.

Inzwischen aber liege der Fokus auch auf inhaltlichen Themen: Eine soziale Spaltung der Stadt müsse verhindert werden, sozialer Wohnungsbau sei wichtig: "Wenn wir laut Steuerschätzung im ersten Quartal ein Plus von 400 Millionen Euro haben, reicht das Geld auch, um den Flüchtlingen zu helfen. Eigentlich war schon vor zwei Jahren absehbar, dass sich deren Situation nicht entspannt." Containerdörfer auf zwei Jahre zu befristen, sei doch "nur eine Beruhigungspille für die Nachbarn".

Bis zu 30 Wochenstunden arbeitet Stephan Jersch inzwischen für die Hamburgische Bürgerschaft. Seinen Job als Systemanalyst beim Logistiker Kühne & Nagel reduziert er nun auf 25-Stunden, erst mal für die nächsten fünf Jahre, also für eine Legislaturperiode. Denn Politik ist doch auch Stress, wenn man den Arbeitskreis Haushalt und Wirtschaft besucht sowie die vielen Ausschuss-Sitzungen. Jersch ist schließlich Fachsprecher für Umwelt, Wirtschaft, Netzpolitik, neue Techniken, Medien, Landwirtschaft und Tierschutz.

Die mürrischen Zwischenrufe in den Bürgerschaftssitzungen sei er noch nicht gewohnt: "Beim Thema Olympia wurden wir richtig gemobbt, das war ein Lehrbeispiel von Polemik. Es hieß, wenn wir gegen Olympia seien, seien wir auch gegen die Paralympics und generell gegen Inklusion", ärgert sich Jersch, der einfach gern gezielte Fragen nach der Finanzierung stellt - und sich kaum vorstellen kann, wie etwa 80 000 Zuschauer zur Allermöher Regattastrecke kommen sollen. Zwar schätze er die direkte Demokratie sehr, "aber die Volksabstimmung im November wird doch vom Senat gesteuert: Da kann Herr Krupp noch so oft sagen, der Senat stecke kein Geld in die Olympia-Werbung. Wenn gleichzeitig die städtische Hochbahn keine Anti-Olympia-Werbung erlaubt, sind die Wettbewerbsbedingungen doch mehr als unfair."

Ja, man könne durchaus etwas bewegen in der Opposition: "Und Bürgerschaft ist nicht komplizierter als Bezirksversammlung. Da wird mit besonders viel heißem Wasser gekocht", meint der 52-Jährige, der erstmals im Jahr 2000 politisch aktiv wurde, als er in Bergedorf für die Wählervereinigung Regenbogen kandidierte. "2002 kandidierte ich dann für die niedersächsische PDS mal für den Bundestag. Dann kam die Fusion von PDS und WASG, ich wurde PDS-Bezirksvorstand in Bergedorf."

Im Juni 2007 war Stephan Jersch bei der Gründungsversammlung der Linken dabei, abends im Neuallermöher KulturA. Prompt wurde er zum Fraktionsvorsitzenden gewählt und sprach schließlich sechs Jahre lang in der Bezirksversammlung: "Wir haben zum Beispiel immer gefordert, dass Neuallermöhe nicht mehr als Gefahrengebiet eingestuft wird."

Höchstens 80 Leute kommen zu den Mitgliederversammlungen der Bergedorfer Linken. "Wir sind der kleinste Bezirksverband Hamburgs", sagt Jersch, der sich mehr bezirkliche Rechte wünscht - nicht nur, weil hier vier Fraktionskollegen Direktmandate erringen konnten.

Aber auch in der Bürgerschaft würden Bergedorfer Themen angesprochen, wenn es etwa um die Tiefe der Elbe geht oder um Überschwemmungsgebiete. "Und warum bekommt Harburg das Stadtrad, wir aber nicht?", ärgert sich der Systemanalyst. Aber längst wolle er sich nicht über alles ärgern: "Wenn Herr Nockemann von der AfD spricht, gehe ich einfach vor die Tür."

"Die kochen mit besonders viel heißem Wasser." Stephan Jersch (52), Politiker der Fraktion der Linken