Von Gerrit Pfennig

Bergedorf.
Drei Wochen nach Beginn des unbefristeten Streiks an den Kitas wächst die Wut der Eltern in Bergedorf immer weiter. Ein Vater, dessen Söhne den Kindergarten August-Bebel-Straße besuchen, schrieb jetzt einen offenen Brief an die Tarifparteien. Er findet darin deutliche Worte und spricht damit vielen Eltern aus dem Herzen. Die Empfänger kontern die Kritik.

David Feist verfasste zwei Versionen des Schreibens - eine ging an Thomas Böhle, Verhandlungsführer der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Die zweite schickte er dem Chef der Gewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, und veröffentlichte den Brief zudem via Facebook.

Nach drei Wochen Streik "platzt vielen Eltern so langsam der Kragen", die Folgen seien nicht mehr tragbar, schreibt der Vater. "Und dabei spielen die Eltern eigentlich eine völlig untergeordnete Rolle und haben keine Chance, irgendwie Einfluss zu nehmen." Feist: "Einige bangen um die Verlängerung ihrer Arbeitsverträge durch die erhöhten Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Manche sorgen sich um die Übernahme nach Ende der Probezeit. Jeder weitere Streiktag verursacht bei diesen Eltern blanke Existenzangst."

Die Leidtragenden seien vor allem sozial schwache Familien und alleinerziehende Eltern, betont Feist. "Der im Streikrecht verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird hier ohne jeden Zweifel eklatant verletzt."

Breite Zustimmung erntet der Vater dafür bei vielen Eltern. Eine von ihnen ist Christine von Deyn: Die Alleinerziehende hat Drillinge im Alter von drei Jahren und braucht zwei Jobs, um sich und die Kinder über Wasser zu halten. Die Forderungen der Erzieher nach einer höheren Eingruppierung kann sie nicht nachvollziehen: "Soviel verdiene ich nicht einmal mit zwei Arbeitsstellen."

Bei der Betreuungssituation ist momentan für die 41-Jährige nicht an Schlaf zu denken - sie muss sich täglich Gedanken machen, wo sie die beiden Töchter und den Sohn am nächsten Tag unterbringt. "Das ist für die Kinder und für mich eine Katastrophe", sagt von Deyn.

Zwar freut sich die Mutter darüber, dass die Eltern an der Kita August-Bebel-Straße selbst eine Notbetreuung organisieren (wir berichteten). Dennoch sei das keine Lösung auf Dauer. Von Deyn: "Bis zum Sommer halten wir das alle nicht durch."

Das sieht auch Marlene Matejczuk so. Die Logistik-Disponentin hat ebenfalls drei Kinder und zwei Jobs. Nebenbei organisiert sie die Notbetreuung an der Kita. Momentan teilen sich neun Eltern täglich die Betreuung für knapp 30 Kinder. Nächste Woche sollen es noch mehr sein. "Man steht ständig unter Zeitdruck und muss immer neu planen", so Matejczuk. Teilweise bringe sie ihre Söhne (2/5) sogar den weiten Weg zu ihren Eltern. Einfache Strecke: 250 Kilometer.

Diese Verhältnisse sind für die Eltern nicht mehr tragbar. David Feist formuliert deshalb in seinem Brief klare Forderungen an die Tarifparteien: Er fordert die Gewerkschaften auf, umgehend den Streik zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Von den Arbeitgebern fordert er ein "verhandlungsfähiges Angebot". "Wir fühlen uns hilflos!"

Die Adressaten reagieren auf bz-Anfrage unterschiedlich: "Warum wird der Umgang mit einer Tonne Stahl in der Industrie besser bezahlt, als der Umgang mit zehn Kilo Kind in der Kita?", fragt Christoph Schmitz, Leiter der Bundespressestelle von Ver.di. Genau um diese Frage gehe es jedoch bei diesem Streik - um die "Anerkennung und Wertschätzung dieser gesellschaftlich wichtigen Arbeit".

Zu den Forderungen betont Schmitz: "Es wäre zu kurzsichtig, aus nachvollziehbarem Unmut und in der sicherlich unschönen Belastungssituation, der viele Eltern derzeit ausgesetzt sind, von den Erzieherinnen und ihren Kollegen im Sozial- und Erziehungsdienst jetzt zu verlangen, auf die Durchsetzung ihrer Interessen und damit auf die Aufwertung ihrer Arbeit einfach zu verzichten."

Die VKA will auf das Schreiben antworten und verweist darauf, im April einen konkreten Vorschlag für eine bessere Bezahlung gemacht zu haben. Diese Vorschläge seien "nicht in Stein gemeißelt", so Hauptgeschäftsführer Manfred Hoffmann.