Von Anne K. Strickstrock

Lohbrügge.
Ruhig sitzt Mert vor seinem Mathe-Heft und starrt auf Zahlen: Bruch, Dezimal, Prozent. "Manchmal träume ich aber auch davon, ob mein Lieblingsverein in Istanbul gewinnt", gesteht der Zwölfjährige. Das mit der Konzentration ist so eine Sache. "Mert muss besser organisiert sein", steht unter seinem jüngsten Zeugnis vom Gymnasium Allermöhe. Inzwischen aber sind sämtliche Fünfen verschwunden - dank des Schülercoachings. Zweimal wöchentlich besucht er Anita Danischewski am Harnackring in Lohbrügge. Und dann wird intensiv gelernt.

Schon seit 2009 hilft Danischewski ehrenamtlich beim Awo-Projekt "Starthilfe". Es betreut hamburgweit 200 Schülercoaches, die nicht nur Schulstoff sondern auch Selbstvertrauen vermitteln, bei Praktika und Berufswünschen unterstützen. Mert ist inzwischen das siebte Kind, das von Danischewski begleitet wird: "Ein Mädchen wollte Maniküre lernen. Ich bin froh, dass sie jetzt eine Ausbildung zur Floristin macht. Aber Muhamed, der in die IT-Branche wollte, hilft heute im Gemüsegeschäft seines Vaters."

Mert, dessen Vater in einer Bäckerei arbeitet, will unbedingt das Abitur schaffen, später vielleicht mal Polizist werden. Das könnte klappen: "In Englisch und Mathe ist er von Fünf auf eine Drei gekommen", sagt die 72-Jährige nicht ohne Stolz. Auch Deutsch lernt sie mit dem Jungen, in dessen Familie nur Türkisch gesprochen wird. Was ein Kehrwert ist, schaute sie im Internet nach. Vor der Oberstufe hat sie allerdings ein bisschen Bammel: "Mert ist mein erster Gymnasiast. Wenn irgendwann mit drei Unbekannten gerechnet wird, werde ich ihm wohl nicht mehr helfen können."

Sie selbst sei ein Rabauke gewesen, unter Benehmen habe in ihrem Zeugnis gestanden: "Anita gibt zum Tadel Anlass". Aber es war der Mathe-Lehrer, der einst ihre Fähigkeiten erkannte und vom Berufswunsch Kinderpflegerin abriet. So kam es, dass sie drei Jahre lang zur technischen Zeichnerin ausgebildet wurde und schließlich 1966 beim Bergedorfer Eisenwerk als Maschinenbautechnikerin anfing - ein damals absoluter Männerberuf. Eifrig arbeitete sie sich hoch: "Zuletzt war ich als Abteilungsleiterin für die Gasturbinen zuständig", sagt die 72-Jährige, die für die schwedische Firma Alfa Laval auch viel auf Reisen war. Und "ganz nebenbei" zog sie ihren Sohn allein groß -und pflegte viele Jahre ihre Mutter.

"Ich hatte viel Glück im Leben. Aus Dankbarkeit möchte ich jetzt anderen helfen", sagt Danischewski. Die Arbeit mit Mert macht der Rentnerin Spaß: "Das ist nicht sinnlos verplemperte Zeit. Ich habe für ihn den Ehrgeiz, dass er sich verbessert."

Da hilft es auch, dass Mert tatsächlich ehrgeizig ist: "Ich merke, dass ich nachlasse, wenn ich mal nicht übe", sagt er - und fügt dann hinzu: "Lieber aber spiele ich Fußball oder Trompete."

"Aus Dankbarkeit möchte ich jetzt anderen helfen." Anita Danischewski, Schülercoach