Neuengamme/Lübeck.
Am 3. Mai 1945 endete die Geschichte des KZ Neuengamme in einer Katastrophe. Bereits seit Wochen hatte die SS aus dem völlig überfüllten Lager Transporte und Todesmärsche auf den Irrweg durch Norddeutschland geschickt.

Tausende völlig entkräfteter KZ-Häftlinge mussten zu Fuß oder in völlig überfüllten Viehwaggons auf der erzwungenen Flucht vor der von allen Seiten herannahenden Front in den letzten Wochen des Krieges ihr Leben lassen. Sie starben an Entkräftung, Unterernährung und Krankheiten, sie fielen Bombardierungen zum Opfer oder wurden von der SS erschossen.

Weit mehr als 9000 Häftlinge transportierte die SS Ende April 1945 aus dem KZ Neuengamme nach Lübeck. Krank und halb verhungert wurden sie auf die Schiffe "Cap Arcona", "Thielbek" und "Athen" verladen, die Hamburgs Gauleiter Karl Kaufmann als "schwimmende Konzentrationslager" requiriert hatte. In den Laderäumen wurden sie zusammengepfercht.

Der Pole Bogdan Suchowiak erinnerte sich noch 1985, 40 Jahre nach Kriegsende, an die katastrophalen hygienischen Bedingungen auf der "Thielbek": "Sie müssen sich ein Handelsschiff vorstellen, in dem eine Besatzung von etwa 20, 30 Mann ist. Auf diese Besatzung sind die Kajüten, Toiletten, Wascheinrichtungen eingestellt. Als 2800 statt der 30 Mann kamen, da war natürlich keine Latrine, keine Möglichkeit des Waschens, und so weiter. Man musste alles primitiv machen, also in Kübeln."

Es gab kaum Essen und Trinken. Zudem nagte die Ungewissheit an den Nerven der Häftlinge. Warum hatte man sie hierher gebracht? Was sollte mit ihnen passieren? Der deutsch-polnische Überlebende Paul Weissmann beschrieb später die Stimmung auf den Schiffen: "Wir liegen in der Bucht von Neustadt. Von drei Seiten sieht man Land. Die nächste Küste schätzen wir auf zwei bis drei Kilometer. Über allem liegt tiefster Frieden. Trotzdem sind wir unruhig. Warum hatte man uns hierher gebracht?"

Am frühen Nachmittag des 3. Mai 1945 bombardierten britische Jagdbomber der Royal Air Force die Schiffe, wohl in der irrigen Annahme, es handele sich um flüchtende SS-, Gestapo- oder Wehrmachtsangehörige. Heute geht man davon aus, dass genau dies von der SS beabsichtigt war. Sie wollten keine Zeugen hinterlassen, die der Nachwelt über ihre Zeit im KZ Neuengamme oder seinen Außenlagern berichten konnten, und die Anwesenheit der britischen Jagdbomber über der Ostsee war bekannt.

Der Russe Leonid Maiski, der auf der "Thielbek" eingepfercht war, erinnerte sich vor 15 Jahren anlässlich einer Gedenkfeier an diesen sonnigen Frühlingstag: "Plötzlich hörten wir Lärm von Flugzeugen. Wir freuten uns: ,Jetzt kommt die Freiheit!' Aber das war ganz anders, das war Tod von den englischen Flugzeugen. Raketen, Maschinengewehre, Kanonen und so weiter. Die 'Thielbek' kippte nach ungefähr 20 Minuten um und versank. Ich habe mich völlig ausgezogen und sprang ins Wasser. Das Wasser war sehr kalt. Fast alle blieben unter Deck, sie konnten nicht raus. Das war schrecklich!"

Auch die meisten Häftlinge der "Cap Arcona", die in Brand geschossen wurde und kenterte, starben. Lediglich die Gefangenen der "Athen", die nicht getroffen wurde, blieben unversehrt. Insgesamt etwa 7000 Häftlinge starben am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht. Wer es schaffte, von den Schiffen zu springen und sich ans Ufer rettete, wurde dort von Angehörigen der Hitlerjugend und des Volkssturms erschossen. Nur etwa 450 überlebten.

Einen Tag vorher, am 2. Mai 1945, hatten die Briten das Lager Neuengamme betreten, um die Häftlinge zu befreien. Sie fanden dort niemanden mehr.

Ulrike Jensen