Von Ulf-Peter Busse

Bergedorf.
Es war ein schöner, fast friedlicher Frühlingstag, am heutigen Sonnabend vor genau 70 Jahren in Bergedorf. Die Sonne schien, und die Nachricht von Verhandlungen zur kampflosen Übergabe Hamburgs machte die Runde. Obwohl britische Truppen bereits in Börnsen standen, genossen viele Bergedorfer die warmen Temperaturen, fühlten sich erstmals seit Wochen auch im Freien wieder halbwegs sicher vor Tiefflieger-Angriffen und Bomben.

Entsprechend groß war der Andrang vor den Lebensmittel-Geschäften, als kurz nach 18 Uhr der schrecklichste Beschuss begann, den Bergedorf während des gesamten Zweiten Weltkriegs erlebt hatte. Mitten im bunten Treiben auf den Straßen des Ortskerns schlugen Sprenggranaten der britischen Artillerie ein. "Es gab keinen Alarm. Die Menschen wurden völlig überrascht", erinnerte sich Marianne Harten (* 2011) vor zehn Jahren in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Die damals 22-Jährige war gerade von einem Spaziergang mit der Freundin ins Elternhaus an der Brookstraße zurückgekehrt, als das Inferno begann: "20 Minuten lang schlugen überall Granaten ein. Dann war Totenstille."

Getrieben von der Angst um den Vater Carl Möller, er war Kutscher bei der Spedition Buhck, lief sie zu deren damaligem Firmensitz an der Töpfertwiete. "Überall lagen Tote und Verletzte. Es war ein grausamer Anblick", erinnert sie sich. Ihre schlimmsten Befürchtungen sollten sich bewahrheiten: Carl Möller war mit seinem Doppelspänner gerade die Wentorfer Straße heruntergekommen, als der Feuerüberfall begann. Er hatte keine Chance. Eine Granate schlug direkt neben der Kutsche ein, riss ihm ein Bein ab.

Mit Schwerstverletzungen wurde er ins überfüllte Allgemeine Krankenhaus auf dem Gojenberg gebracht. Der 52-Jährige ist in der Nacht "seiner durch Feindeinwirkung erlittenen Verletzung erlegen", hieß es im Totenschein. Insgesamt fordert der Artilleriebeschuss mindestens 29 Menschenleben. Über 100 Bergedorfer werden teils schwer verletzt und das einen Tag vor dem friedlichen Einmarsch der Briten. Unter den Opfern des Artillerie-Angriffs waren viele Kinder. So löschte eine Granate die Geburtstagsgesellschaft einer Dreijährigen aus. Sie hatte mit ihren kleinen Gästen vor der Schmiede am Neuen Weg gespielt, als das Geschoss einschlug.

Als Grund für den Beschuss Bergedorfs gilt heute eine unglückliche Verknüpfung von Zufällen. So marschierten den ganzen 2. Mai über Trupps von Wehrmachts-Soldaten durch Bergedorfs Straßen, gegen 18 Uhr waren sogar zwei Panzer hier unterwegs. Dieses Bild muss den Briten durch ihre Luftaufklärung bekannt gewesen sein. Gleichzeitig war der Vormarsch ihrer Bodentruppen bei Börnsen an einer Panzersperre auf der heutigen B 5 gestoppt worden.

Dort hatte sich Ritterkreuzträger Carl Emmermann mit einer Einheit ehemaliger U-Boot-Soldaten verschanzt. Sie leisteten so heftigen Widerstand, dass die Briten für einige Stunden aufgehalten werden konnten. Ihr General-Leutnant H. G. Martin schreibt in seinen Kriegserinnerungen von einem "schwierigen Gefecht auf dem steilen bewaldeten Abhang über der Straße".

Probleme hatten die Briten vor allem, weil ihr Nachschub ins Stocken geraten war, die Artillerie vorübergehend ohne Munition blieb. Als sie nachladen konnte, hatte Emmermann seine Panzersperre aufgegeben. Dafür gab es jetzt aber in Bergedorf Truppenbewegungen. Also wurde der Ortskern ins Visier genommen.