Abriss-Stadt Bergedorf: Interview mit Dr. Geerd Dahms zum Denkmalschutz

Als Geerd Dahms 1957 geboren wurde, lag Bergedorf in Trümmern. Doch Schuld waren nicht die Kriegsbomben, sondern die Stadtplaner. Sie ließen mitten durch die historische Vorstadt eine Schneise für die schöne neue Zeit schlagen, konkret die Bergedorfer Straße. Und der Denkmalschutz hielt still.

Dies war quasi der Urknall, der den Historiker und Denkmalsachverständigen bis heute erschüttert. Denn die Nachbeben der "Durchbruchstraße" halten in seinen Augen bis zum aktuellen Abriss der Schüttfort-Speicher an. Im neuen Lichtwark-Heft (6,80 Euro im Buchhandel) zeichnet er auf 17 Seiten die Geschichte der Abriss-Stadt Bergedorf nach, beschreibt unter anderem den Abbruch des alten Postamts und der historischen Kornwassermühle in den 70er-Jahren, die erfolglose Besetzung der Speckenhäuser 1984, an der er selbst beteiligt war, und das Ende des ebenfalls besetzten Café Möller 1991.

Wir haben mit Dahms über den heutigen Umgang der Bergedorfer mit dem Denkmalschutz gesprochen - und gefragt, wie ernst er es mit seiner Überschrift "Wir haben doch dazugelernt. . ." meint.

Bis in die 90er-Jahre wurden abrissgefährdete Denkmäler in Bergedorfs City noch besetzt. Bei den Schüttfort-Speichern an der Chrysanderstraße hat sich niemand angekettet. Sind die Menschen unkritisch geworden?

Dr. Geerd Dahms:

Die Bergedorfer reagieren heute anders. Wie in den einschlägigen Internet-Foren nachzulesen ist, wollen sich viele in Zukunft genau überlegen, wo sie ihre Schuhe kaufen.

Was ist dran an dem Argument, dass der Denkmalschutz-Gedanke heute sehr viel mehr Gewicht hat, als noch in den 50er- oder sogar den 80er-Jahren? Hat man in Bergedorf dazugelernt?

Aus meiner Sicht ist eher das Gegenteil eingetreten. Im Sachsentor wird mit der wunderbaren Architektur und dem historischen Flair geworben. Sie stehen angeblich für die Attraktivität dieses Einkaufsstandorts. Aber schizophrener Weise fällt ausgerechnet hier ein Jahrhunderte altes Gebäude nach dem anderen, nur um Neubauten mit noch mehr Verkaufsfläche Platz zu machen. Das galt schon vor Schüttfort unter anderem für die Bäckerei Wolgast, die nach fast 360 Jahren direkt neben Schüttfort abgerissen wurde, oder das kleine Eckhaus neben dem Eiscafé Ciprian, das 1998 für einen Neubau fiel.

Aber das Denkmalschutzamt hat grünes Licht gegeben.

Ein Skandal. Es ist nicht nachvollziehbar, warum dort erst die Erhaltenswürdigkeit und Ortsbildprägung eines Altbaus ausdrücklich hervorgehoben wird, um dann doch dem Abriss zuzustimmen. Das gilt auch für die Familie Schüttfort, der in den 90er-Jahren das Kunststück gelungen ist, die bereits als schutzwürdig eingestuften Speicher ausgerechnet bei ihrer Unterschutzstellung ganz aus der Liste fallen zu lassen.

Auslöser soll ein Fachgutachten sein, das die Baufälligkeit der Gebäude feststellte.

Aber wo ist dieses Gutachten? Komisch, dass die Behörde genau das bis heute nicht vorlegt. Aus meiner Sicht hat das Denkmalschutzamt damals ohne Not einen kapitalen Fehler gemacht. Aber weil das Amt keine Fehler macht, soll es dieses Gutachten geben.

Das neue Hamburger Denkmalschutzgesetz regelt die Unterschutzstellung ganz anders. Hilft das, alte Bausubstanz besser zu schützen?

Das Denkmalschutzamt kann tatsächlich von heute auf morgen jedes mindestens 30 Jahre alte Gebäude unter Schutz stellen, das aus städtebaulichen, geschichtlichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Gründen dafür in Frage kommt. Dazu braucht es kein Verfahren und eigentlich nicht mal eine Information des Eigentümers. Eigentlich genügt es schon, dass Kanzler Kohl dreimal durchgelaufen und zweimal drin übernachtet hat. Das öffnet der Beliebigkeit Tür und Tor. Nur leider gehen Funktionsbauten wie Speicher dennoch verloren, weil sie das Amt nicht im Blick hat.

Sie sagen also, dass der Abrissbagger wieder kommt. Welches Gebäude im Sachsentor fällt als nächstes?

Gefährdet ist jedes Haus, das als Neubau mehr Fläche bietet. Ich will hier keinem Grundeigentümer auf die Füße treten, der sich für den Erhalt seines Altbaus einsetzt. Aber wenn in Bergedorf Abriss-Gerüchte aufkommen, zeigt die Erfahrung, dass zwei Jahre später der Abrissbagger kommt. Leider ist heute das ehemalige Gerber-Zunfthaus, bekannt als Schilling-Haus an der Ecke Sachsentor/Chrysanderstraße, im Gespräch.