“Engel vom Achterdwars“: Der dienstälteste Bewohner erzählt aus seinem Leben

Er sei stets freundlich und hilfsbereit. "Da wundern sich die Leute immer, dass ich im Männerwohnheim lebe", sagt Gerhard Pufahl. Der 72-Jährige ist sogar das absolute Urgestein am Achterdwars. Von allen 149 Männern wohnt er am längsten in der "Blauen Welle", nämlich seit 1985.

"Fast 30 Jahre. Tja, das ist alles so ein Schicksal", meint Pufahl - und erzählt gern aus seinem Leben, "wenn ich auch nicht jedes Detail zur Sprache bringen möchte". Das mag besser so sein. Auf jeden Fall kam er in Groß Herzogswalde, das damals noch zu Westpreußen zählte, auf einem Gutshof zur Welt, als Jüngstes von vier Kindern. "Als meine Eltern 90 Prozent ihrer Ernte abgeben sollten und der Russe schon an der Grenze von Litauen stand, gingen sie 1944 nach Berlin." Da war Gerhard Pufahl zwei Jahre alt.

Nach dem Krieg erlebte er im westfälischen Warstein seine Kindheit. Er besuchte die landwirtschaftliche Berufsschule, wollte anschließend "aber keine Kühe melken". Also absolvierte Gerhard Pufahl eine Malerlehre, konnte auch tapezieren und Teppiche verlegen. "Dann war ich gut sieben Jahre Betriebsmaler bei der Brauerei Warstein, bis ich zur Bundeswehr kam."

1965 sei er in die Wentorfer Kaserne gezogen. Er musste oft in Lauenburg Posten beziehen, die Elbe beobachten - "und das Vaterland verteidigen, so hat man es uns angedreht". Auf Befehl ging es zur Unteroffiziersschule, danach "freiwillig sechs Monate zu einer Ranger-Spezialeinheit in Süddeutschland, wo ich Überlebenstraining machte und Regenwürmer fraß".

Zurück in Warstein kam der Schock: Die Brauerei wollte ihn nur noch als Hilfsarbeiter anstellen. "Und weil ich mich freiwillig als Zeitsoldat gemeldet hatte, verlor ich meinen Prozess vor dem Dortmunder Arbeitsgericht", erzählt der Mann, den es prompt in den Hamburger Freihafen zog: "1968 war ich ein Jahr lang Schiffsmaler, wobei ich immer mit Chemie erst die Algen wegschrubben musste. Von dem Gift musste ich Blut spucken, sodass mir mein Hausarzt schließlich den Job verbot." Die Kehrseite: Damit hatte sich sein geregeltes Arbeitsleben erledigt.

Zunächst kam Gerhard Pufahl bei einem Seemanns-Ehepaar unter: "150 Mark inklusive Vollkost. Bis es hieß, ich würde zuviel essen." Es folgten drei Wohnungen in Altona, deren Mieten zu oft erhöht wurden. Schließlich zog er ins Männerwohnheim an der Kieler Straße, zahlte 12,99 Mark pro Monat und lebte mit 18 Mann auf einem Zimmer - "aber in der Holzbaracke liefen auch Ratten herum".

Es folgten weitere Männerwohnheime in Hamburg. "Die wurden dann aber für Flüchtlinge geräumt." Und das Wohnungsamt: Das verwies ihn zwar auf freie Wohnungen, ahnte jedoch, dass sich stets bis zu 70 Leute bewarben. Lustig war die Zeit dennoch: Im "Star-Club" auf der Reeperbahn lernte er die Speditions-Kontoristin Ellen kennen und heiratete die Rahlstedterin 1972. Zusammen gewohnt haben sie nie - "wegen der unlieben Schwiegermutter". Seine Frau komme ihn häufig besuchen, auch am Achterdwars.

"Oft sauer" habe er indes seinen Berater im Bergedorfer Arbeitsamt erlebt: Der schickte ihn mehrfach "in irgendwelche Maßnahmen, dass ich Friedhofsgärtner war oder Beifahrer im Schlachthof. Richtig wütend war er, als mir die Krankenkasse mal eine Badekur auf Sylt bezahlte".

Dankbar ist Gerhard Pufahl heute über 392 Euro Grundsicherungsrente - und zeigt sich sogar spendabel: "Ich helfe als Straßenengel, schenke den Bettlern aus Rumänien mal ein Brötchen oder gebe ihnen mein Leergut. Auch Leuten mit Gehwagen helfe ich", sagt der 72-Jährige, der zudem gute Tipps gibt: Beim "Pottkieker" in Dulsberg etwa gebe es ein Frühstück für nur 1,50 Euro.

Voll gestopft mit Kissen, Lebensmitteln, Weihnachtsdekoration und einer Katze ist das Zimmer im Männerwohnheim Achterdwars, für das er 133,50 Euro Miete zahlt - inklusive Strom und Wasser. Er teilt sich die gut 20 Quadratmeter mit einem "netten Iraner, der wie mein Bruder ist und nie klaut". Klar, dass Gerhard Pufahl auch lobende Worte für die Hausverwaltung von "fördern & wohnen" hat: "Die verdienen eine Medaille, weil sie so menschlich sind und schon vielen Leuten das Leben gerettet haben."

Zuletzt musste der 72-Jährige selbst ins Krankenhaus eingeliefert werden: ein Kreislaufkollaps. "Aber nach wenigen Tagen hatte ich Heimweh nach dem Achterdwars."