Lehrstellen: 20 Prozent mehr Verträge in 2014 - und viele Betriebe suchen noch

Arbeitgeber bieten trotz Facharbeitermangels immer weniger Lehrstellen an. Doch das Handwerk widerspricht, das Gegenteil sei richtig. "Mit 1109 abgeschlossenen Ausbildungsverträgen liegen wir in Hamburg fast 20 Prozent über dem Vorjahr", sagt Oliver Thieß, Leiter des Bereichs Bildungspolitik bei der Handwerkskammer.

Halte der Trend an, können zum Jahresende die durchschnittlich etwa 2500 neuen Ausbildungsverträge im Jahr übertroffen werden, ist Bergedorfs Bezirkshandwerksmeister Christian Hamburg zuversichtlich: "Wie viele andere Meister würde auch ich noch einen Auszubildenden für das anstehende Ausbildungsjahr einstellen - wenn ein geeigneter Bewerber käme."

Tatsächlich haben derzeit weder Arbeitsagentur noch Handwerkskammer verlässliche Gesamtzahlen für Hamburg oder gar Bergedorf. "Ende Juni waren bei uns 565 freie Ausbildungsstellen gemeldet, 443 davon für das beginnende Ausbildungsjahr", erläutert Thieß. Das Problem: Etwa ein Drittel der Lehrstellen im Handwerk würden weder der Kammer noch der Arbeitsagentur gemeldet. "Es ist problematisch, wenn dann die Agentur allein aufgrund ihrer Daten behauptet, es gäbe immer weniger Stellen." Tatsächlich steige die Ausbildungsbereitschaft im Handwerk leicht.

Ein guter Bewerber wird sofort genommen

"Wenn ein guter Bewerber kommt, nehme ich den sofort", sagt Dirk Pinnau, Chef der Firma Hans Heinrich Pinnau, Heizungs- und Sanitärtechnik. In der Regel habe er im Betrieb zwei Azubis. "Jetzt haben wir nur noch einen, wenn der im Januar aufhört, haben wie Azubi-Not."

Wie Pinnau hatte auch Juwelier Dwenger dieses Jahr Bewerber, die nicht zum Zuge kamen. "Bei uns hat sich eine Abiturientin mit einem Schnitt von 2,3 beworben", berichtet Christoph Dwenger. "Die junge Frau kannte weder unsere Bundeskanzlerin, noch konnte sie Kilo in Gramm umrechnen oder gar die Mehrwertsteuer für Schmuckstücke berechnen."

Wie Pinnau sucht auch Dwenger über die Handwerkskammer und die Arbeitsagentur Lehrlinge; besondere Anforderungen an den Schulabschluss stelle er nicht, sagt Dwenger: Handwerkliches Geschick und Kreativität, Ehrgeiz und Freude am Umgang mit Kunden seien wichtiger als Noten. Die Dienste der Arbeitsagentur sieht er kritisch: "Von dort kommt nichts. Oder aber Bewerber, die sich mit der Anmerkung melden, wir sollten unsere Ablehnung doch bitte gleich direkt an den zuständigen Sachbearbeiter im Arbeitsamt schicken."

Wie Pinnau und Dwenger hält auch Gebäudereiniger Jens Bartels weiter Ausschau nach geeignetem Nachwuchs. "Einen mittelprächtigen Hauptschulabschluss sollten sie aber schon haben", sagt Bartels. "Ich bilde keine Menschen ohne Abschluss mehr aus, das habe ich über Jahre versucht."

Gesichts-Piercings sind nicht gern gesehen

Wer in seiner 35-Mitarbeiter-Firma eine Lehre machen will, sollte im Großraum Bergedorf leben (Arbeitsbeginn: 5 Uhr), nicht bunt tätowiert sein oder mit Gesichts-Piercings übersät: "Unser Hauptgeschäft sind Privatkunden, bei ihnen kommen solche Mitarbeiter nicht gut an." Nach der Ausbildung bieten sich Aufstiegsmöglichkeiten zum Vorarbeiter oder auch Objektleiter: "Wer mag, kann sich weiter qualifizieren, etwa zum Desinfektor in Krankenhäusern."

Zukunftsperspektiven bieten sich in allen, auch heute weniger angesagten Feldern, betont Oliver Thieß: "Ob als Meister in Fleischer- oder Bäckerhandwerk oder Betriebswirt in der Gebäudereinigung, viele ältere Betriebsinhaber suchen Nachfolger."