MVZ-Schließung: Dr. Silke Lüder fordert neue Regeln

Die für Ende März angekündigte Schließung des MVZ (Medizinisches Versorgungszentrum) Alte Holstenstraße und die Verlegung der von Asklepios aufgekauften Kassenarztsitze sorgt in Bergedorf und besonders Lohbrügge weiter für Ärger. Außer bei Patienten vor allem bei niedergelassenen Ärzten. Dass immer wieder in diesem Kontext vor allem die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH) kritisiert wird, findet Dr. Silke Lüder aus Bergedorf "erstaunlich". Im Interview mit "bz"-Lokalchef André Herbst weist die Allgemeinärztin, Vize-Vorsitzende der Freien Ärzteschaft e.V. und stellvertretende Sprecherin des Fachausschusses Hausärzte in der KV Hamburg die Verantwortung Asklepios als Betreiber des Lohbrügger MVZ zu. Und der Politik.

"bz":

Frau Dr. Lüder, welche Rolle spielen niedergelassene Ärzte, die KV und Medizinkonzerne wie Asklepios oder Helios beim Streit um MVZ und die medizinische Versorgung vor Ort?

Silke Lüder:

Das Beispiel Lohbrügge zeigt, wohin die Reise geht. Gesetzesänderungen haben dazu geführt, dass Medizinkonzerne massenhaft Arztsitze aufkaufen konnten. Asklepios schließt das Bergedorfer MVZ, weil die Kalkulation nicht aufgegangen ist. Nach unseren Informationen sind es nur etwa 5000 Patienten je Quartal, bei zehn Arztsitzen wird die Ineffizienz einer solchen Einrichtung deutlich. Zehn freiberufliche Arztpraxen versorgen in Hamburg normalerweise die doppelte Anzahl von Patienten.

Aber sind die Zahlen für das MVZ nicht auch auf übliche Startschwierigkeiten zurückzuführen?

Nein, dieses MVZ existiert ja schon seit einigen Jahren. Ich gehe davon aus, dass Asklepios geplant hatte, mit dem Bergedorfer MVZ Patienten an seine Kliniken in anderen Stadtteilen zu verweisen, das scheint in Bergedorf nicht zu funktionieren. So wird einfach das MVZ in Lohbrügge geschlossen und woanders wieder aufgemacht, am ehesten in einem Stadtteil, der ein Asklepios-Krankenhaus beherbergt, wie etwa Harburg. Wir kritisieren, dass ein großes Loch in die medizinische Versorgung in Bergedorf gerissen wird und es augenscheinlich vor allem eher um Profit geht als um die medizinische Versorgung.

Hat die Kassenärztliche Vereinigung die Entwicklung nicht verschlafen?

Besteht wirklich keine Chance, über den Zulassungsausschuss für eine bessere Verteilung der Kassenarztsitze in Hamburg zu sorgen?

Der Zulassungsausschuss besteht eben nicht nur aus der KVH, sondern mit der gleichen Stimmenzahl auch aus den Krankenkassen und einem Vorsitzenden, der auch oft von der Kasse ist. Die Politik gibt zudem nicht nur den Entscheidungsrahmen vor, sie hat den MVZ so viele Rechte gegeben, dass man wenig rechtliche Möglichkeiten hat, die Verlegung zu verhindern. Diese Probleme sind weder durch die KV und auch nicht allein durch die Zulassungsausschüsse zu lösen.

Haben Sie Verständnis dafür, dass Patienten angesichts solcher Entwicklungen erbost sind und um die medizinische Versorgung vor Ort fürchten? Und dass Bürger verlangen, dass die Zuständigen endlich einschreiten?

Aber selbstverständlich. Als Hausärzte sehen wir ja, wie schwer es unsere Patienten schon heute haben, in den Fachgebieten versorgt zu werden, die jetzt abwandern. Die Politik träumt immer noch den MVZ-Traum. Große Konzentrationen von abhängig angestellten Ärzten in Klinikkonzernhand verschlechtern jedoch die bisherige wohnortnahe Versorgung durch Haus- und Fachärzte. Selbstständig arbeitende freiberufliche Ärzte entscheiden nach medizinischen Gesichtspunkten, etwa welches Krankenhaus für den Patienten das Beste ist. Wir sind in dieser Hinsicht auch nicht abhängig vom Renditestreben eines Arbeitgebers.

Es braucht also die Politik, um die flächendeckende medizinischen Versorgung selbst in der Metropole Hamburg aufrechtzuerhalten? Etwa indem die sieben Bezirke als Versorgungsgebiete definiert werden, in deren Grenzen die medizinische Versorgung sichergestellt werden muss?

Durch staatliche Planungseingriffe und Einteilung Hamburgs kann kein junger Arzt gezwungen werden, sich in "ärmeren" Stadtteilen niederzulassen, wenn er dort nicht zurechtkommt. Wir brauchen vor allem eine Reform der Gebührenordnung, damit Arztpraxen wieder eine stabile finanzielle Grundlage auch in Stadtteilen mit wenig Privatpatienten haben. Dann gibt's auch in allen Quartieren genug Ärzte. Statt den weiteren Aufkauf von Kassenarztsitzen durch Medizinkonzerne zu verhindern, werden MVZ weiterhin als das Zukunftsmodell der ambulanten Versorgung glorifiziert, auch im neuen Koalitionsvertrag von CDU und SPD. Die Politik hat sich zum Lobbyisten der Medizin-Konzerne gemacht. Mit der Folge, dass vielerorts die Versorgung immer schlechter wird, weil Kassenarztsitze abgezogen und woanders konzentriert werden.