Stadtteilschule: Hamburgs erste Oberstufen-Unternehmer starten im August

Doch diese Lust auf die ökonomische Seite unserer Gesellschaft bleibt in den Schulen gewöhnlich ausgesperrt. Hier besteht das Fach Wirtschaft nur aus Zahlen, Fakten und blanker Theorie.

Derartige Langeweile dürfte an der Stadtteilschule Richard-Linde-Weg spätestens nach den Sommerferien Vergangenheit sein. Dann startet in der Neunten die Profilklasse "Wirtschaftspraxis - Was kostet das Leben?" und parallel Hamburgs erstes Oberstufen-Profil, das aus Schülern echte Unternehmer macht. Sein Titel: "Schülerfirma".

"Schule muss auf die Wirklichkeit vorbereiten statt sich als Schutzraum vor dem Alltag zu verstehen", beschreibt Rektorin Angelika Maijer das Doppelprojekt, aus dem am Richard-Linde-Weg sogar ein Standortfaktor werden könnte: Mittelfristig soll ein Leitfaden entwickelt werden, wie moderne Schülerfirmen gegründet, betrieben und weiterentwickelt werden können.

Entsprechend hoch sind die Anforderungen, die Oberstufen-Koordinator Uwe Debacher an das neue Profil stellt: "Wir wollen in einer andern Liga spielen als die typischen Vogelhäuschen-Produzenten", sagt der Gründer von Bergedorfs bekanntester Schülerfirma "Netthelp", die seit über zehn Jahren Hilfestellung im Bereich von Computertechnik gibt. Statt Vogelhäuschen könnten Computerspiele programmiert, ein Vertrieb für Schulmaterial auf die Beine gestellt oder etwas entwickelt werden, das der Generation der unter 20-Jährigen wirklich fehlt.

Welches Unternehmen es wird, entscheiden die 26 Oberstufenschüler, die sich für die Premiere eingeschrieben haben. Vier Semester haben sie für Gründung und Betrieb Zeit, angeleitet durch ihren "Chef" Florian Klaus, einen studierten Wirtschafts-Pädagogen und Handelsschullehrer, den die Lohbrügger aus dem Berufsschulbereich abgeworben haben. Der 32-Jährige wird mit seinen Schülern immer dienstags und freitags das gerade entstehende "Wirtschafts-Kompetenzzentrum" am Richard-Linde-Weg nutzen, das unter anderem über Monitore mit Börsenkursen, Laptops, flexible Büros und natürlich Teppichboden sowie einen ebenso großen wie edlen Konferenztisch verfügt. Dort werden zunächst die Grundlagen eines Business-Plans erarbeitet, um ihn dann auf die Firmen-Idee zu übertragen. Gegründet wird das Unternehmen Anfang 2014 und läuft dann ganz in Verantwortung der Schüler. Die Lehrer sitzen im Aufsichtsrat.

Klar, dass die Jungunternehmer auch mehr Englisch haben, als normal: Sechs statt vier Stunden pro Woche sind angesetzt, damit auch das Business-Englisch sitzt. Weitere Grundlagen für ihre künftige Karriere werden durch die Kooperation mit der Hamburg School of Business Administration gelegt, die unter anderem Vorlesungen organisiert, zum Schnupper-Studium einlädt und eine Exkursion nach London anbietet. Für den nötigen finanziellen Unterbau sorgt die Claussen-Simon-Stiftung, die das Wirtschafts-Profil der Stadtteilschule Richard-Linde-Weg mit 50 000 Euro fördert.

Einen kleineren Teil des Geldes bekommen auch die Neuntklässler von "Wirtschaftspraxis - Was kostet das Leben?". Sie werden von ihrer Fachlehrerin Derya Duman (29) für die alltäglichen Berührungspunkte mit der Wirtschaft fit gemacht. So geht es um das Einrichten eines Kontos, erfolgreiche Bewerbungen oder die Kostenfalle Handy-Rechnung. "Viele der 15-Jährigen haben noch nicht einmal gelernt, mit ihrem Taschengeld richtig hauszuhalten", weiß Derya Duman.

Ob das Wirtschaftsprofil am Richard-Linde-Weg wirklich Geschichte schreibt, als Keimzelle einer Annäherung von Schule und Wirtschaft, bleibt abzuwarten. "Bisher sind wir in Hamburg noch ausgemachte Exoten", weiß Uwe Debacher. "Für uns gibt es kein Zentral-Abitur. Das betrifft sonst nur Profile wie Japanisch oder Chinesisch."