Bergedorf. Sein Name wirkt ein wenig provokant. “Sterbeheilkunde e.V.“ heißt ein neuer Verein, der von der Bergedorfer Buchautorin Claudia Cardinal (“Trauerheilung“, “Lebe und lerne sterben“) gegründet wurde. Sterben und heilen? Wie soll das gehen?

Der Widerspruch ist gewollt. Weil er nach Meinung der 55-jährigen Sterbeamme keiner ist. "Heilen heißt für mich nicht automatisch leben", meint sie. "Wenn jemand in Frieden stirbt, dann ist das auch eine Form von Heilung." Dieses Thema bestimmt ihr Leben: Die gelernte Heilpraktikerin möchte das Sterben in die Mitte der Gesellschaft rücken und von Angst befreien. Und der neue Verein soll dazu beitragen, indem "medizinische und psychologische Standards für Menschen im Abschiedsprozess" entwickelt werden. Eine "Sterbeheilkunde" eben.

Die Vorsitzende zieht Parallelen zur Geburtsheilkunde heran. "Es gibt viele Analogien zwischen Geburt und Tod", sagt sie. So wie sich eine Schwangere auf die Geburt vorbereitet, setzt sich auch ein Sterbender nach der Diagnose mit dem nahenden Tod auseinander. Beides, Geburt und Tod, kann aber auch sehr plötzlich und ohne Vorwarnung geschehen. Und sowohl Ankunft als auch Abschied werden mit Zeremonien wie Taufe und Beerdigung gewürdigt. Dennoch ist das eine, die Geburt eines Menschen, positiv besetzt. Das Sterben hingegen ist ein Tabu. Und so werden die Eigenheiten von Schwangeren lächelnd akzeptiert, die von Sterbenden und Trauernden aber nicht.

"Es ist zum Beispiel ein klassisches Phänomen, dass Sterbende sauer werden", sagt Claudia Cardinal. Doch statt die Menschen darin zu unterstützen, ihre Wut herauszulassen, würden sie oft ruhiggestellt. "Ein Seniorenheim könnte doch mal auf die Idee kommen, ein Heftchen mit den besten Schimpfwörtern herausgeben", schlägt Claudia Cardinal vor. Selbst in vielen Hospizen gälten die Todkranken als "austherapiert". "Dabei fängt bei denen das Sterben doch gerade erst an."

Damit die Todkranken in allen Phasen ihres Sterbens nicht allein sind, möchte der neue Verein (ca. 25 Mitglieder) das Gespräch mit Ärzten, Bestattern, Seelsorgern suchen. Es soll auch Vorträge, Beratungen und mehr geben. "Es liegt noch ein weites Feld in der Erforschung und Begleitung vor uns", meint Claudia Cardinal.

Auch die Arbeit der Sterbeammen - ein Beruf, den Claudia Cardinal bundesweit etabliert hat - soll gefördert werden. Aus Erfahrung und vielen Gesprächen mit Sterbenden weiß die 55-Jährige, dass es vor allem die Angst ist, die den Menschen kurz vorm Tod zu schaffen macht. "Diese Angst müssen wir in eine Zukunftsvision verwandeln."

* Informationen im Internet unter www.sterbeheilkunde.de , www.claudia-cardinal.de .

Kluge Kinder lesen Zeitung: Tipp

Kinder haben viele Fragen zum Thema Tod. Wohnt Opa auf einer Wolke? Gibt es einen Himmel für Tiere? Einfache Antworten gibt es nicht. Aber studieren Sie mit Ihrem Kind doch einmal die Traueranzeigen. Wie hießen die Verstorbenen? Wie alt waren sie? Wer trauert um sie? In den Anzeigen finden sich oft auch tröstende Worte. Und das Nebeneinander des Lebens wird hier ganz deutlich: Hochzeitsanzeigen und Geburten finden sich in der gleichen Rubrik.