Bergedorf. Der Blick auf die aktuellen Großbaustellen im Bergedorfer Zentrum lässt bei Historikern die Alarmglocken schrillen. Sie mögen den Versprechungen der Stadtplaner nicht so recht glauben, dass Bergedorf durch die Verdoppelung des Einkaufszentrums CCB am Bahnhof und den Umbau des Kaufhauses Penndorf zum Neuen Mohnhof wieder zur “Einkaufsstadt“ für den gesamten Hamburger Osten wird.

Zu oft schon hätten die sogenannten Experten für die Entwicklung von Innenstädten viel versprochen, aber nichts gehalten. Das listen die Historiker Dr. Christel Oldenburg und Dr. Andreas von Seggern im gerade erschienen Lichtwark-Heft (56 Seiten, 5,40 Euro, in allen Buchhandlungen) genüsslich auf: Seit 100 Jahren ist Bergedorfs Zentrum Tummelplatz der Stadtplaner. Ein Patient, der diesen Eingriffen so tiefe Wunden zu verdanken hat, dass sein Überleben schon an ein Wunder grenzt. Ganz zu schweigen von seiner Zukunft als Oberzentrum einer Region zwischen Glinde, Schwarzenbek, Lauenburg und Winsen.

Die Krankengeschichte nimmt ihren Anfang mit Plänen für die "Durchbruchstraße I". Sie wurde in den 1920er-Jahren als heutige Vierlandenstraße realisiert - eine Altstadtsanierung mit dem Abrissbagger: Möglichst viele der noch aus dem Mittelalter stammenden Fachwerkhäuser südlich vom Sachsentor wurden beseitigt. Sie und ihre kleinen verwinkelten Gassen fielen der Lehre einer "gegliederten und aufgelockerten Stadt" zum Opfer. In diese Tradition gehört auch die "Durchbruchstraße II". Die heutige Bergedorfer Straße haben die Stadtplaner nach der Nazi-Zeit Anfang der 1950er-Jahre wieder aus den Schubladen gekramt und beherzt durch den Rest der Bergedorfer Altstadt geschlagen.

Begleitet wurde das alles von der Entwicklung einer "Neuen Mitte" für Bergedorf - nicht zufällig dem gleichen Terminus, der heute für das erweiterte CCB und den neuen Bahnhofsvorplatz gebraucht wird. Damals wurde zunächst eine "Neue Mitte" südlich der Bergedorfer Straße mit einem großzügigen Marktplatz samt monumentaler Randbebauung zwischen Neuem Weg und Vierlandenstraße geplant. Dann aber sollte den Bergedorfern doch nicht der Weg über die viel befahrene Bergedorfe Straße zugemutet werden. Also wechselte die "Neue Mitte" in den Köpfen der Experten auf die Fläche zwischen Vierlandenstraße und Penndorf. Doch auch dort entstand nie ein Markt. Von seinen markanten Gebäuden ist lediglich das Iduna-Hochhaus Wirklichkeit geworden. Und der vom Kaufhaus Penndorf zunächst hierher verlagerte Haupteingang wechselte schnell zurück ans Sachsentor.

"Es blieb also dabei: Trotz extremer Eingriffe der Stadtplaner blieb Bergedorf Mitte stets zwischen Schloss, Kirche St. Petri und Pauli und der Einkaufsstraße Sachsentor. Eben genau dort, wo es auch in den Jahrhunderten davor lag", schreibt Christel Oldenburg. Und Kollege Andreas von Seggern ergänzt: "Die Durchbruchstraßen zerstörten wertvolle historische Bausubstanz - schlimmer noch - eine über Jahrhunderte gewachsene Beziehung von Zentrum und südlicher Vorstadt wurde innerhalb kürzester Zeit dem Fetisch einer ' autogerechten Stadt' geopfert."

Ob die aktuellen Großbaustellen besser durchdacht sind, lassen die Historiker offen. So optimistisch wie die Stadtplaner sind sie allerdings nicht.