Bergedorf. Wie bringt man E.T.A. Hoffmanns Erzählung “Der Sandmann“ aus dem Jahre 1815 auf die Bühne? Ganz einfach: Man veranstaltet eine szenische Lesung mit verteilten Rollen.

Nun, ganz so einfach hat es sich das Gymnasium Lohbrügge nicht gemacht, wenngleich sich die Schüler um Lehrerin Petra Spörlein im Prinzip am Konzept der szenischen Lesung orientiert haben.

Schwarz gekleidet und mit grotesken, selbst angefertigten Masken als Skeptiker, Griesgram oder anders charakterisiert, agierte ein Teil des Ensembles als Chor. Der erzählte die Handlung, kommentierte sie und strich die jeweiligen Gemütsverfassungen der Figuren aus Hoffmanns Nachtstück heraus. Nebenfiguren wie der Vater waren nur durch die Erzählung des Chors präsent. Andere wie der Sandmann alias Coppelius alias Coppola wurden der Welt des unfassbar Unheimlichen zugeordnet und dementsprechend reduziert.

Nathanael, der sich mit den Mächten des Unheimlichen einlässt und dem Wahnsinn verfällt, wurde buchstäblich als gespaltene Persönlichkeit gleich von zwei Schauspielern dargestellt. Interessant, wie es Petra Spörlein gelang, ihre vielen Schüler sinnvoll in ein Stück einzubinden, in dem es eigentlich nur wenige Personen gibt.

Die Handlung selbst hatten die Lohbrügger auf die Beziehung zwischen Nathanael und Clara fokussiert. Nathanael fürchtet sich vor der dunklen Welt des Sandmanns, verfällt ihr aber, als er von Coppola ein Okular annimmt, mit dem er die Automatenpuppe Olimpia als begehrenswerten Menschen erkennt und sich in sie verliebt. So sehr die Schüler sich bemüht haben, die Handlung vielschichtig zu brechen, sind sie bei der Darstellung der Olimpia recht eindimensional geblieben. Der Zuschauer erlebt sie genauso automatenhaft wie Nathanaels Freunde. Man sieht sie nicht mit seinen Augen - dabei ließe sich hier doch eine Parallele zur Faszination der digitalen Cyberwelt ziehen. Dass der nach einer romantischen Erweiterung seines Bewusstseins gierende Nathanael sich ausgerechnet der technisierten Welt ausliefert, ist doch ein hochaktuelles Thema.

Seine neue Weltsicht verdankt Nathanael der technischen Hilfe des Okulars. Anders dagegen Clara - sie sieht und bewertet die Welt scheinbar rational, bewahrt aber so ihre Menschlichkeit. Sie flüchtet sich nicht in eine Parallelwelt.

Für ihren "Sandmann" wurden die Gymnasiasten zu recht mit stürmischem Applaus gefeiert.