Bergedorf. Timm Schwemann ist Jäger - Schatzjäger. Der 27-Jährige steht vor dem Bergedorfer Bahnhof am Bauzaun.

Sein Blick wandert umher, suchend dreht er sich im Kreis, schaut immer wieder auf ein kleines gelbes Gerät in seiner Hand, das an ein altmodisches Handy erinnert. "Da lang", sagt er schließlich, deutet Richtung Alte Holstenstraße und läuft los. Die Jagd hat begonnen.

Geocaching.com ("geo": Erde, "cache": geheimes Lager) heißt die Internetseite, die weltweit Menschen zu Abenteurern werden lässt. Einmal registriert, kann jeder an der digitalen Schnitzeljagd teilnehmen. Notwendig dafür ist einzig ein GPS-Gerät, mit dem die Schätze geortet werden können. Die geographischen Koordinaten der Verstecke stehen im Internet. Jeder Spieler kann sie dann mit Hilfe des GPS-Empfängers suchen, aber auch selbst Schätze verstecken. Für die moderne Schatzsuche braucht es weder einer Karte aus zerknittertem Pergament mit dickem Kreuz in der Mitte, noch eine einsame Insel: Allein im Bezirk Bergedorf sind an die hundert Schätze versteckt, weltweit 797 190 Stück.

Auch im Herzen von Timm Schwemann wohnt seit einigen Wochen ein kleiner Indiana Jones, auch wenn der Barmbeker optisch eher an den US-amerikanischen Schauspieler Leonardo DiCaprio im Film "The Beach" erinnert: dunkelblonde Haare, die in das jungenhafte Gesicht wuscheln, eine beige Bermuda-Shorts und ein T-Shirt mit Palmen-Aufdruck, auf dem Rücken einen Rucksack, Turnschuhe an den Füßen. "Die Kleidung muss praktisch sein", erklärt der "Geocacher", "schließlich muss ich manchmal durch Matsch und Dreck." Vor der Kirche St. Petri und Pauli bleibt Schwemann stehen und wirft erneut einen Blick auf sein GPS-Gerät. Ein Pfeil auf der digitalen Straßenkarte im Display deutet Richtung Frascatiplatz. "Wir müssen zum alten Bergedorfer Bahnhof", sagt Schwemann. "Dort gibt's den nächsten Hinweis."

Oft reichen nämlich nicht allein die Anfangskoordinaten aus, um einen Schatz zu bergen, sondern unterwegs müssen - wie bei der traditionellen Schnitzeljagd - Rätsel gelöst werden, um die finalen Koordinaten für das Versteck zu bekommen. "Außerdem soll die Suche einen schönen Spot zeigen", erklärt Schwemann, der im richtigen Leben als Softwareentwickler arbeitet und beim TSV Wandsetal Fußball spielt. Die Tour führt also meist an Sehenswürdigkeiten vorbei, diesmal zum alten und zum Südbahnhof. Hier angekommen, gilt es Aufgaben zu lösen, die sich der "Verstecker", der sogenannte Owner (Besitzer) des Schatzes überlegt und im Internet veröffentlicht hat. "Die Quersumme des Jahres der Einweihung der Eisenbahnstrecke Hamburg-Bergedorf", murmelt Schwemann und läuft um das blaue Gebäude am Neuen Weg herum, bis er eine Info-Tafel findet. Dann muss er die Buchstaben auf einem weiteren Schild und Kunstgegenstände, die beim Südbahnhof im Baum hängen, zählen. Alle Aufgaben liefern neue Koordinaten. Schließlich bleibt Schwemann, den Blick auf den GPS-Empfänger geheftet, mitten auf dem Gelände des Südbahnhofs abrupt stehen. "Hier muss es sein", sagt er und sucht einen Container und einen Zaun ab.

Unvermittelt zaubert er eine kleine Dose hervor, die unter einer Metallstange magnetisch befestigt war: "Ah, da ist er ja!" Der Schatz ist gehoben. Wer jetzt an zahlreiche Goldmünzen oder Schmuck denkt, liegt aber völlig falsch, denn genauso wie die Schatzkarte hat sich bei der Schatzsuche des 21. Jahrhunderts auch der Schatz selbst verändert. "Es geht um die Aufregung bei der Suche, die Herausforderung, den Schatz zu finden", erklärt Schwemann den Reiz des Spiels, "nicht um irgendwelche Werte." Entsprechend besteht der "Schatz" aus allerhand Kleinkram: Ein Anspitzer, eine Überraschungsei-Figur und etwa eine Wäscheklammer finden sich in der Dose - und natürlich ein Logbuch. Hier trägt sich jeder Finder ein. Dann werden Gegenstände ausgetauscht. Schwemann packt eine neue Überraschungsei-Figur hinein und nimmt ein Spielzeugauto heraus, schreib ins Logbuch "Gehoben mit der Presse", packt den Schatz dann zurück ins Versteck. Die Jagd ist beendet und Schwemann lächelt zufrieden, froh darüber ein Geheimnis entdeckt zu haben, in einer Welt, die uns eigentlich bis ins Detail durchleuchtet erscheint.

"Es geht um die Aufregung bei der Suche, die Herausforderung." Timm Schwemann, "Geocacher"

Internet: www.geocaching.com