Bergedorf. Am 4. Juli ist es zehn Jahre her, dass eines der wichtigsten archäologischen Fundstücke in Deutschland von Raubgräbern ans Tageslicht befördert wurde: die Himmelsscheibe von Nebra, gefunden in einem bronzezeitlichen Grab nahe der gleichnamigen Stadt in Sachsen-Anhalt.

Wie es sich für einen solchen Schatz gehört, wurde er zunächst für Preise von bis zu einer Million Mark auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Erst im Februar 2002 gelangte die Scheibe in den Besitz des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle. Dort ist sie heute mit 100 Millionen Euro versichert, ihr tatsächlicher Wert gilt aber als unschätzbar. Denn die fast kreisrunde Bronzeplatte (Durchmesser: 32 Zentimeter) ist etwa 3600 Jahre alt und zwei Kilogramm schwer. Mit ihren Applikationen aus Goldblech gilt sie als eine Art Lexikon des Wissens ihrer Zeit. Ob sich das aber nur auf das bäuerliche Ackerjahr beschränkte, ist bis unter Archäologen umstritten.

Eine ganz neue Sichtweise präsentiert nun der Allermöher Matthias Witt (51): "Es handelt sich um eine exakte Abbildung unseres Sonnensystems. Die Scheibe ist eindeutig zur Navigation gebaut worden, mit unvorstellbar präzisen Abmessungen." Die Werte ermittelte Witt für den Hamburger Kapitän und studierten Nautiker Hady Jiffy (55), indem er Fotos der Himmelsscheibe vermaß. Jiffy, gebürtiger Syrer, geht der Theorie nach, dass das auf der Scheibe zusammengefasste Wissen ursprünglich von Vorfahren seines Volks stammt: dem Akkadischen Großreich, das um 2300 vor Christus in Mesopotamien existierte und auch vom Handel über See lebte.

"Ich hielt die Navigations-Theorie für sehr weit hergeholt. Aber die Vermessung der Scheibe förderte Unglaubliches zu Tage", fasst Matthias Witt zusammen. "Diese uralte Grabbeigabe zeigt die Verläufe aller damals bekannten Planeten von Merkur über Venus, Erde, Mars und Jupiter bis hin zum Saturn so exakt wie moderne Messungen." Basis müssten neben reinen Himmelsbeobachtungen folgerichtig auch die Kenntnis von Längeneinheiten und mathematische Formeln gewesen sein - vor 4000 Jahren (!). "Tatsächlich finden sich auf der Scheibe solche Urmaße, unter anderem von Zentimeter, Zoll und sogar des Kreismaßes Pi", sagt Witt. Für ihn und Jiffy ist damit klar, dass die Himmelsscheibe von Nebra vier Jahrtausende altes Wissen über Navigation, Längenmaße und den jährlichen Kalender umfasst. "Ich bin mir sicher, dass die Scheibe sogar noch weit mehr beinhaltet. Wir müssen nur lernen, sie zu lesen", sagt Witt, selbst studierter Kommunikationstheoretiker. "Sie ist das Lexikon einer Zeit, deren Wissen später unterging - warum auch immer."

Die Forschungen des Duos zur Himmelsscheibe von Nebra erscheinen im Herbst als Buch.