Boberg. Ende des 19. Jahrhunderts war auch der kleinste Arbeitsunfall kein Vergnügen: Wer sich an einer Maschine verletzte, konnte von Glück sagen, wenn sich in aller Schnelle ein Arzt auftreiben ließ.

Doch selbst wenn der Mediziner herbeieilte, kannte sich dieser mit Erster Hilfe nicht immer gut aus. Eine kleine Quetschung an der Hand konnte so durchaus mal zur Folge haben, dass mehrere Finger gelähmt blieben.

Diesem Missstand verdanken die Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Deutschlands ihre Existenz. Auch das Berufsgenossenschaftliche Unfallkrankenhaus in Boberg: Als "Nachzügler" im Mai 1959 eröffnet, zählt es mittlerweile zu den Spitzenkliniken in Deutschland, ja sogar in Europa. In diesem Jahr wird es 50 Jahre alt.

Am Anfang stand zunächst die Gründung der Berufsgenossenschaften im Jahr 1884. Damals trat im Deutschen Reich das Unfallversicherungsgesetz in Kraft - eine Folge der rasanten Technisierung und der zunehmenden Unfälle in den Fabriken. Die Arbeitsteilung mit den allgemeinen Krankenkassen war nach Ansicht der neu gegründeten und von den Unternehmen finanzierten Berufsgenossenschaften aber nicht eben zufriedenstellend: Denn die finanziellen Folgen schlechter Krankenkassen-Behandlungen nach Arbeitsunfällen mussten sie tragen, etwa durch die Auszahlung lebenslanger Renten bei Erwerbsunfähigkeit. Ihnen lag deshalb daran, die medizinische Versorgung in den ersten Wochen nach dem Unfall deutlich zu verbessern - mit eigenen Kliniken.

1890 wurde in Bochum die erste Berufsgenossenschaftliche Klinik ("Bergmannsheil") eröffnet. Sie war zugleich das weltweit erste Unfallkrankenhaus. Eine Reihe anderer Berufsgenossenschaftlicher Kliniken in allen Teilen Deutschlands folgten - Beginn einer Erfolgsgeschichte.

BG-Kliniken erarbeiteten sich schnell führende Positionen

Da diese Einrichtungen zunächst nahezu ausschließlich dem Zweck dienten, Arbeitnehmer zu behandeln, die sich bei der Ausübung ihres Berufs verletzt hatten, erarbeiteten sich die BG-Kliniken schnell führende Positionen im Bereich der Unfallchirurgie. Spezialwissen, das gefragt war, da die Industrialisierung und der zunehmende Verkehr im Nachkriegsdeutschland viele Unfallopfer mit sich brachte.

Am 21. Mai 1959 wurde schließlich am heutigen Standort, Bergedorfer Straße 10, das Berufsgenossenschaftliche Unfallkrankenhaus Boberg eröffnet. Die heutige Größe hatte es damals noch lange nicht: In den Anfangsjahren (1959 bis 1963) zählte es insgesamt 240 Planbetten und 248 Mitarbeiter. Im Laufe der Jahrzehnte wuchs die Klinik auf derzeit 470 Planbetten (plus Reha-Klinik und Rückenkolleg) an, 1650 Menschen sind hier aktuell beschäftigt.

Während sich wichtige Abteilungen des UK Boberg - etwa die Unfallchirurgie oder das Schwerbrandverletztenzentrum - erst über die Jahre bildeten, gehörten die Handchirurgie sowie die Behandlung Querschnittgelähmter bereits in den Gründertagen zu den Schwerpunkten des Hauses.

In den Nachkriegsjahren steckte die Behandlung Querschnittgelähmter noch in den Kinderschuhen, viele Betroffene überlebten nicht. In Boberg standen von Beginn an 33 Betten für Querschnittgelähmte zur Verfügung. Schon damals wurde hier großer Wert auf Rehabilitation und soziale Wiedereingliederung gelegt. Die Erfolge sprachen für sich: Aus der anfänglichen "Station 02" wurde in den 80er-Jahren mit einem Neubau das Querschnittgelähmtenzentrum mit zunächst 100, heute 120 Betten. Es ist damit das größte seiner Art in Deutschland.

Eine Ausnahmestellung, die sich auch in zahlreichen Forschungsprojekten manifestiert. In dem mehrfach ausgezeichneten Biomechanischen Labor wird zurzeit daran geforscht, wie ein Mikrochip das Zusammenwachsen durchtrennter Nerven simulieren könnte. Das könnte eine Heilung für viele Querschnittgelähmte bedeuten.

Als "Boberger Schule" sind bundesweit auch spezielle, hier entwickelte Operationstechniken in der Handchirurgie bekannt. Einen hervorragenden Ruf genießen zudem hochmoderne Abteilungen wie das Schwerbrandverletztenzentrum oder die Mikro- und Plastische Chirurgie.

Mehrfach wurde das UK Boberg in den 50 Jahren seines Bestehens um- und ausgebaut. Im September 1985 wurde schließlich die "Zielplanung 2000" verabschiedet, nach der sich die Grundfläche des Hauses sukzessive von 46 000 auf 75 000 Quadratmeter erhöhte. Auch danach gab es aber keinen Stillstand. Zuletzt hinzugekommen sind etwa das Reha-Zentrum und Dermatologische Fachbereiche. Längst hat sich das UK Boberg auch hier einen Namen gemacht.

Trotz seines Rufs als Standort der Spitzenmedizin hat heute aber auch das UK Boberg mit Sorgen zu kämpfen. So warnte jüngst der Chefarzt des Querschnittgelähmtenzentrums via Medien vor den Folgen der Gesundheitsreform: Die geplanten Fallpauschalen würden die Qualität der Behandlung erheblich gefährden, da sie weder tatsächliche Leistungen noch die Verweildauer des Patienten berücksichtigen. Finanzielle Engpässe drohen.

Prof. Dr. Gerhard Mehrtens, Geschäftsführer UK Boberg, gibt sich indes für die Zukunft optimistisch: "Die Behandlung Arbeitsunfallverletzter nach dem berufsgenossenschaftlichen Prinzip, die Einbindung des Unfallkrankenhauses in die medizinische Versorgung sowie die zur Umsetzung dieser Aufgaben vorhandenen Arbeitsplätze sind am Boberger Standort dauerhaft gesichert."