Sie hat es einfach nicht mehr geschafft. Oft starrte Waltraut B. stumpf auf die Zimmerdecke, als sich ihre beiden Kinder - die Schulranzen geschultert - verabschiedeten. “Wieso hast Du nichts eingekauft?“, schimpfte der Ehemann am Abend.

20 Jahre Klinik für Psychiatrie - immer mehr depressive, demente und süchtige Patienten.

Er verstand nicht, warum Waltraut B. plötzlich Angst davor hatte, vor die Tür zu gehen. Warum sie schließlich nur müde mit den Schultern zuckte, als er die Scheidung einreichte.

"Er war überfordert, die Frau war schwerst depressiv", sagt Dr. Theo Piegler. Der Leiter der Bergedorfer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie kennt solche Fälle zuhauf: "Psychische Erkrankungen liegen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen inzwischen schon an zweiter Stelle." Dabei sei die Dunkelziffer sehr hoch: "Nur ein Viertel aller depressiven Menschen sind in ärztlicher Behandlung, der Rest leidet da draußen still vor sich hin."

Vor 20 Jahren wurden psychisch kranke Bergedorfer nach Ochsenzoll geschickt. "Nach einem Modellversuch in Eilbek war das AK Bergedorf die erste Klinik, die eine psychiatrische Abteilung einweihen konnte", sagt Geschäftsführerin Margret von Borstel. Das nun 20-jährige Bestehen des Hauses, das von anfangs 56 auf nun 72 Betten anwuchs, wird am Sonnabend mit einem "Tag der offenen Tür" gefeiert (siehe Kasten). Auch die Tagesklinik vergrößerte sich von 20 auf 35 Plätze. Nicht genug, denn die Patientenzahl hat sch inzwischen verdreifacht: Heute betreuen 103 Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte jährlich 1500 Menschen.

Dr. Piegler spricht von Dramen: Erst vorgestern wurde ein alkoholisierter junger Mann eingeliefert, der aus Kummer ins Wasser gehen wollte. Vor eine S-Bahn hatte sich eine 17-jährige Türkin geworfen, als sie erfuhr, dass ihre Eltern sie verheiraten wollten. Aggressiv fiel ein 25-Jähriger auf. "Er musste im Irak zusehen, wie sein Bruder hingerichtet wurde und war auf abenteuerliche Weise geflüchtet", berichtet der Klinik-Leiter. Depression endet oft bei Selbstmord. "In Deutschland gibt es alle 47 Minuten einen Suizid. Gerade ältere Menschen kommen oft mit ihrer sozio-ökonomischen Situation nicht zurecht", sagt Piegler.

Weniger schizophrene, aber mehr demente Senioren werden in Bergedorf behandelt. Denn die Menschen werden älter: Um die Jahrhundertwende waren 0,7 Prozent der Patienten dement, heute sind es sieben Prozent aller Patienten. Und auch die Süchte haben zugenommen: Am Glindersweg gibt es eigens 18 Betten für Abhängigkeits-Erkrankte - "der Suchtanteil hat sich verdreifacht", sagt Theo Piegler. Als "labilisierende Faktoren" benennt er finanzielle Unsicherheiten (allein durch Zeitverträge) und die zunehmende Vereinsamung, etwa bei Alleinerziehenden. So kam es auch zum neuen Schwerpunkt der Klinik: Die Betreuung von Müttern mit Wochenbett-Psychosen. Weitere Neuerungen sind geplant. Abgesehen von mehr Personal wünscht sich Piegler eine Tagesklinik für Senioren. "Es gibt nicht viel Platz auf unserem Gelände, aber laut Krankenhausplan dürfen wir noch um sechs Betten erweitern. Die würden wir gern in ambulante Plätze umwandeln", beschreibt Geschäftsführern von Borstel die Zukunftspläne.