Stellen Sie sich vor, ein Manager von Coca Cola, McDonald's oder eines anderen weltweit tätigen Franchise-Konzerns käme auf die Idee, kräftig Steuern sparen zu wollen. Wie könnte er dies tun? Er sichert sich die Markenrechte an allem, was mit der Firma zu tun hat, veräußert diese Rechte an eine Firma, die ihm gehört und kassiert fleißig Lizenzgebühren. Besonders wird es dann, wenn man aus einem Wirtschaftsunternehmen eine Religionsgemeinschaft macht, die unter diesem Deckmantel expandiert, viele neue Ableger kreiert, Kritiker und Aussteiger mundtot machen will. Das ist Scientology.

Angefangen hatte alles eher zufällig. Der 1911 in Tilden (Nebraska/USA) geborene L(afayette) Ron(ald) Hubbard verfasste unter Pseudonymen Western-, Detektiv- und vor allem Science-Fiction-Romane. 1950 legte er mit dem Buch "Dianetik" den Grundstein für das spätere Imperium. Der "Leitfaden für den menschlichen Verstand" war ein Bestseller. Hier beschrieb jemand, wie man zu einem Übermenschen werden konnte.

1954 gründete Hubbard die erste Scientology-"Kirche", Gruppenleiter waren plötzlich "Geistliche". Außerdem mussten die einzelnen Organisationen nun Lizenzgebühren zahlen. Denn die Begriffe Dianetik, Scientology und viele mehr bis hin zum Namen L. Ron Hubbard und dem Kürzel LRH sind bis heute mit Urheber- und Markenrechten versehen.

Der Psychokonzern will eine neue Gesellschaftsordnung: In Hubbards Schriften heißt es: "Der Plan selbst ist International City, was nichts anderes heißt als Regierung der Erde." Unter dem religiösen Deckmantel richtet sich an unterschiedliche Gesellschaftsgruppen: Wer sich für Gefangene, Drogensüchtige, Schüler-Nachhilfe, Selbstfindung, wirtschaftlichen Erfolg oder eine bessere Welt einsetzen will - für jeden gibt es ein Angebot. Letztlich landen alle diese Vertriebskanäle immer bei der machthungrigen Organisation. Es gibt eigene Buchverlage, eigene Musik- und Hörbuch-Produktionen. Ein in viele kleine Einheiten aufgeteiltes, verschachteltes Ganzes.

1980 tauchte Hubbard ab. Es kam zu einem Machtkampf innerhalb der Organisation, den langjährige Gefolgsleute Hubbards verloren. 1986 wurde offiziell sein Tod bekannt gegeben. Seitdem wird der Psychokonzern von David Miscavige geführt, der von Kindesbeinen an Scientologe ist.

"Was ist die wirkliche Ursache für Stress und Depressionen? Was kann Sie daran hindern, an sich selbst zu glauben? Wie kann ein besseres Verstehen von sich selbst Ihnen helfen, Glück zu erreichen?" Antworten auf solche Fragen soll das Buch "Dianetik" liefern. So werden Leute neugierig gemacht. Und der Traum vom Glück ist teuer: Für die Trainings können bis zu 50 000 Euro zusammenkommen. Der Weg dorthin führt über Schulden zur Selbstaufgabe und Isolation. Die Mitglieder haben kaum noch Freizeit (weil sie "Studieren" müssen), kaum noch Freunde (selbst für kritische Ehepartner wurden bereits Trennungsbefehle ausgesprochen), kaum noch Freiheit (weil sie Wissensberichte schreiben müssen). Durch Psychotricks und Druck werden die Leute "weich gekocht".

Wer öffentlich aussteigt oder zu den Kritikern des Psychokonzerns gehört, wird den Scientology-Geheimdienst "Büro für spezielle Angelegenheiten" (Office for Spezial Affairs, OSA) kennenlernen. Von hier aus werden Propaganda, Detektiveinsätze und Schmutzkampagnen beauftragt. Betroffene berichten von Bedrohungen, von gezielt gestreuten Unterstellungen im Bekanntenkreis und in der Firma, von Telefonterror, Überwachungen, Verfolgungen. Gründer Hubbard selbst hat die Kritiker-Bekämpfung in einer Richtlinie mit dem Titel "Fair Game Policy" festgehalten: "Eine Person, die in den Ethik-Zustand des Feindes zurückgestuft worden ist, gilt als vogelfrei: Man darf ihr Eigentum abnehmen, sie in jeder Weise verletzen, ohne dass man von einem Scientologen bestraft wird. Man darf ihr Streiche spielen, sie verklagen, sie belügen oder vernichten."

Die deutschen Innenminister halten Scientology für verfassungsfeindlich und lassen die Organisation deshalb seit 1997 vom Verfassungsschutz überwachen.

Warum ist Scientology so gefährlich? Wer sich nicht an die Spielregeln hält, wandert ins Rehabilitation Project Force (RPF), eine Art Straflager. Hier soll es wenig Essen, soziale und körperliche Misshandlungen sowie Gehirnwäsche geben. Dieses Vorgehen spiegelt das wieder, was Hubbard angekündigt hatte: "Die Planung für Scientology ist so angelegt, dass die Fähigen fähiger werden, während die Unfähigen vorerst sich selbst überlassen bleiben, bis wir die richtigen Anstalten für sie gebaut haben." Und schon wieder der Übermenschen-Glaube: "Niemand von uns richtet oder straft gern. Aber wahrscheinlich sind wir die einzigen Menschen auf Erden, die das Recht haben, zu bestrafen", schrieb Hubbard.

Das Bayerische Staatsministerium des Innern warnt: Ziel von Scientology sei die Beseitigung des demokratischen Rechtsstaates.

Nach Angaben des Verfassungsschutzes hat Scientology in Hamburg etwa 750, bundesweit etwa 6000 Mitglieder. Weltweit sollen es 125 000 sein. Wieso gehen trotz jahrelanger Aufklärung immer noch Leute dem Psychokonzern auf den Leim? "Meist geschieht dies über persönliche Kontakte, durch Mitglieder von Tarn- und Nebenorganisationen. In der Wirtschaft läuft viel über Kommunikationstrainings und Managementberatungen. Außerdem läuft auch viel über die Esoterik-Schiene", sagt Ursula Caberta, Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology bei der Hamburger Innenbehörde. "Die Ideologie von Scientology ist totalitär und menschenverachtend." Caberta und ihre Mitarbeiter klären auf und helfen beim Ausstieg. Scientology sei keine Sekte, stellt sie klar. Diese Bezeichnung verharmlose. Zutreffender sei die aus dem Englischen entliehene Definition destruktiver Kult.

Jeder könne Opfer von Scientology werden: "In ganz banalen Situationen - zum Beispiel bei Examensangst, Fremdheit in einer neuen Stadt, in einem neuen Job - freut sich jeder über Aufmerksamkeit und Zuwendung. Genau das suggerieren diese Menschenfänger. Mit 'Love-Bombing' ziehen sie ihre Opfer an Land, saugen sie dann aus - finanziell und seelisch", sagt Caberta. Sie wird deshalb nicht müde, vor dem Psychokonzern zu warnen. Dabei schreckt es sie auch nicht, dass sie der erklärte "Feind Nr. 1" der Organisation ist, mit Anzeigen und Klagen überzogen wird. "Ich mache denen das Leben schwer. Da ist es doch absehbar, dass die sich revanchieren."

"Wahrscheinlich sind wir die einzigen Menschen auf Erden, die das Recht haben, zu bestrafen."

Scientology-Gründer L. Ron Hubbard