Bergedorf. An einem sonnigen Morgen im August fährt Lillemor Köper mit ihrem Mountainbike zum Bummeln in die Stadt. “Eigentlich wollte ich gar nicht los“, erinnert sich die 24-Jährige. Mittags kommt im Fernsehen Olympia, das will sie nicht verpassen.

Deshalb bleibt die Sportstudentin nicht lange im Bergedorfer Zentrum. "Keine Ahnung, was ich dort gekauft habe", sagt sie. Gemütlich fährt die 24-Jährige nach Hause, überquert die Wentorfer Straße, radelt hinterm Rathaus Richtung August-Bebel-Straße. Dort öffnet sich auf dem Seitenstreifen vor ihr eine Autotür. Lillemor Köper weicht aus - das ist ihre letzte klare Erinnerung an diesen Sommertag.

Erst Monate später kommt die Bergedorferin wieder nach Hause. Beim Ausweichmanöver war sie gegen einen Bus geprallt, hat zahlreiche Knochenbrüche und eine Querschnittlähmung erlitten. Die Unachtsamkeit des 59-jährigen Peter T., der die Autotür geöffnet hat, kostete sie ihr altes Leben. "Er hat sich gemeldet, wollte mich treffen. Aber ich will ihn nicht sehen", sagt sie über den Mann, der sich morgen vor dem Bergedorfer Amtsgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten muss. Lillemor Köper sinnt nicht auf Rache: "Aber ich hoffe, dass es ein gerechter Prozees wird. Er hat Schaden angerichtet, und dafür muss er nun geradestehen."

Sie hat gelernt, mit diesem Schaden zu leben. "Ich kann es nicht ändern und muss eben das Beste aus meiner Situation machen", sagt die Sportlerin, die nach wie vor bei der TSG Bergedorf aktiv ist und inzwischen mit dem "Rolli-Basketball" begonnen hat. "Meine Mandantin hat sich nicht in ein Tief fallen lassen", sagt ihr Anwalt Heiko Ahlenstorf anerkennend. Und Roland Thietje, Chefarzt des Querschnittgelähmten-Zentrums im Unfallkrankenhaus Boberg, sagt stolz über seine Patientin: "Ihr geht es aus medizinischer Sicht hervorragend." Trotzdem wird Lillemor Köper wohl nie mehr laufen können. Aber sie will wieder ein Leben wie vor dem Unfall führen. Und zu diesem Leben gehört auch das neue Fahrrad, das sie sich als Spezialanfertigung für Rollstuhlfahrer demnächst kaufen wird.

Ein Akkubohrer steht einsatzbereit auf dem Fensterbrett, die Glühbirnen hängen noch nackt von der Decke. In Lillemor Köpers Wohnung an der Holtenklinker Straße stehen die Zeichen auf Neuanfang. Vor wenigen Wochen ist die Bergedorferin in eine für sie und ihren Rollstuhl umgebaute Wohnung ein- und bei ihren Eltern ausgegezogen. Alles andere in ihrem Leben soll so bleiben wie es vor dem tragischen Fahrradunfall im vergangenen Sommer war.

"Es geht weiter wie vorher", sagt die 24-Jährige, die seit einem halben Jahr querschnittgelähmt ist. Sie will nichts aufgeben, keine Freunde, keine Hobbies und schon gar nicht das Mathe- und Sportstudium. "Mir fehlt nicht mehr viel bis zum Abschluss, ich werde auch den Sport mit Rollstuhlbasketball und Schwimmen abschließen", sagt die 24-Jährige, die später als Sportlehrerin arbeiten möchte.

In der Turnhalle Am Bult hat sie regelmäßig mit der Rhönradgruppe trainiert. "Da will ich dabei bleiben, alle meine Freunde sind dort", sagt die Sportlerin, die sich für die Gruppe jetzt ehrenamtlich als Jugendwart engagiert.

Die zerbrechlich wirkende junge Frau verdrängt ihren Unfall und seine Folgen, das gibt sie offen zu. Kummer und Angst haben gerade keinen Platz in ihrem neuen Leben, das dem alten so gut wie möglich gleichen soll. Lillemor Köper will nicht mit ihrem Schicksal hadern, sie will es in die Hand nehmen: Deshalb lässt sie keine Einschänkungen und Traumata zu.

An der Stelle hinterm Rathauspark, an der sich der Unfall ereignete, ist sie schon mehrfach gewesen. "Da muss ich vorbei, wenn ich nach Hause zu meinen Eltern will, das ist eben so", sagt sie schulterzuckend. Bergedorf ist für sie nicht der Ort ihres Unfalls, sondern die Stadt ihrer Kindheit, wo Freunde und Familie leben.

Trotz Hilfe von allen Seiten will sie ihren Alltag alleine bewältigen. Deshalb hat Lillemor Köper wochenlang im Unfallkrankenhaus trainiert, wie sie mit dem Rollstuhl auch Rampen und Bordsteinkanten überwindet. Denn zum Bummeln in die Stadt fährt die Bergedorferin gerne mal wieder - nicht mehr wie am Tag ihres Unfalls mit dem Fahrrad, sondern nun eben mit dem Bus.